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warum ist es so schwierig in Deutschland, einen Psychotherapeut/in zu finden?

Seit Jahren bin ich auf der Suche nach einem Psychotherapeuten: Ich sammle Adressen, rufe an und schreibe, die meisten melden sich nicht, ich habe ein Leben, ich muss arbeiten, das Thema wird vergessen.

Irgendwie habe ich es bis jetzt geschafft, aber mein Leben wäre besser, wenn ich einen Profi hätte, mit dem ich über meine geistige und emotionale Probleme reden könnte.

Wie kann ich das beschleunigen?

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  • Zur Grundfrage: es ist so, dass die Zahl der Kassenzulassungen für Psychotherapeuten eigentlich seit den 90ern nicht signifikant erhöht wurden, die Nachfrage nach dieser Behandlungsform seitdem aber exorbitant gestiegen ist, was schon mal einen grundlegenden Mangel in der Versorgung bedeutet. Wenn du zusätzlich in den letzten 3 - 4 Jahren begonnen hast zu suchen, hast du leider die Pandemie-Arschkarte gezogen - durch diese Krisenzeit (und die folgenden Jahre, die ja auch eher tense waren/sind) mit ihren vielfältigen Belastungen sind viele psychisch vorbelastete, aber eigentlich zurechtkommende Menschen wieder behandlungsbedürftig geworden, und viele neu Erkrankte dazugekommen, vor allem junge, die es ohne die Krise vielleicht auch ohne Therapie geschafft hätten. Die Therapieplätze bleiben aber leider weiter gleich viele, und der Mangel ist gerade extrem verschärft.

    Aber die wichtigere Frage ist die zu Möglichkeiten der Beschleunigung. Hinweise, die ich noch nicht gesehen habe:

    Grundlegend haben die meisten Therapeuten eine Telefonsprechstunde für Therapieanfragen, die sie auf dem AB oder ihrer Website (wenn sie eine haben) kundtun. Wenn nicht, dann den Hinweisen folgen und 5 - 10 Minuten vor der vollen Stunde anrufen, das ist die Zeit zwischen den einzelnen Sitzungen. Und - tendenziell öfter anrufen als weniger oft. Unterstreicht die Dringlichkeit und erhöht die Chance, dass man durchkommt. Zurückgerufen wird man in der Regel nicht, das ist nichts Persönliches, dafür ist einfach nicht die Zeit da.

    Ansonsten: einen Blick auf die Liste der Therapeuten mit Kassensitz von der örtlichen kassenärztlichen Vereinigung behalten. Wenn dort jemand neu auftaucht, dann für gewöhnlich weil er einen alten Kassensitz übernommen hat oder in einer Praxis mit Kassensitz neu angestellt wurde. Ein "neuer" Therapeut (öfter haben die vorher schon einige Jahre oder Jahrzehnte praktiziert, nur ohne es bei den Kassen abrechnen zu können) hat oft noch keinen vollen Patientenstamm und hie und da noch ein Plätzchen frei.

    Psychiatrische Institutsambulanzen. Die sind meistens an eine Psychiatrie angegliedert um die Weiterversorgung der entlassenen Patienten zu sichern, man kann aber auch "von außen" kommen. Großer Vorteil: man hat meistens gleichzeitig Zugang zu einer psychiatrischen UND psychotherapeutischen Behandlung, sollte man beides brauchen (z.B. um Antidepressiva verschrieben zu bekommen). Nachteil: wie schon erwähnt, die sind teilweise auch voll im Moment.

    Ausbildungsambulanzen. Die gibt es in den meisten größeren Städten. Dort werden künftige Psychotherapeuten ausgebildet, die sehr viele supervidierte Praxisstunden absolvieren müssen, um ihre Approbation zu erhalten. Die Behandlung kann wie mit Kassensitz abgerechnet werden. Nachteil: Es SIND Therapeuten in Ausbildung, es kann also schonmal vorkommen, dass es eine gemeinsame Lernerfahrung gibt, um den besten Weg zu finden. Vorteil: Man wird nach neuesten Standards und Protokollen behandelt (die PT-Auszubildenden in Praxisstunden haben die Theorie und Psychiatrie-Praktika bereits absolviert), kann bei Universitäts-angegliederten Zentren an Studien zu neuen Hilfsbehandlungen teilnehmen, und man kann sich sicher sein, dass nochmal ein erfahrener Supervisor sein Auge drauf hat, was in der Therapie fachlich passiert, ist also doppelt abgesichert.

    Außerdem: Psychotherapeuten ohne Kassensitz haben für gewöhnlich freie Plätze. Wenn man kann, kann man dort selbst zahlen, kostet so ca. 80 - 100 Euro pro Stunde. Für gewöhnlich sollte man je nach Problemlage und Therapieart mit 25 über 60 bis 90+ h rechnen, meistens einmal wöchentlich, bei Psychoanalyse in der Hochphase eher 3 mal wöchentlich. Die Summe ist happig, aber kann es natürlich wert sein.

    Es gibt aber auch theoretisch und unter bestimmten Voraussetzungen eine gesetzliche Regelung zur Kostenübernahme einer solchen, wenn man bei Therapeuten mit Kassensitz keinen Platz gefunden hat. (Infos z.B. unter https://www.therapie.de/psyche/info/fragen/wichtigste-fragen/psychotherapie-kostenerstattung/) Die Krankenkassen tendieren im Moment dazu, zu versuchen, sich aus der Kostenübernahme herauszuschlawinern, deswegen sollte man die Nachweisführung wirklich gewissenhaft machen. Insbesondere auch unbedingt (wie in der Info erwähnt) die Terminservicestelle anrufen und sich einen Sprechstundentermin geben lassen, UND bescheinigen lassen, dass (wenn es so ist) man eine Therapie braucht, es aber dort keinen freien Platz gibt. Dazu sei aber erwähnt, dass es durchaus passieren kann, dass man da an einen freien Platz gerät - leider auch Glückssache. Wenn man den Antrag stellt und er abgelehnt wird, unbedingt Widerspruch einlegen, auch wenn es Kraft kostet.

    Ein letzter Hinweis: bei aller Beschwerlichkeit der Therapieplatzsuche, wenn du endlich bei einem Therapeuten sitzt, und du fühlst dich unwohl, er ist dir unsympathisch oder ihr habt große Probleme, euch zu verständigen bzw. zu erfassen, was der andere meint, oder irgendwas in der Richtung, dann tu dir den Gefallen und schau dich trotzdem weiter nach jemand anderem um. Ein sehr großer Teil der Wirksamkeit einer Therapie ist eine positive, vertrauensvolle Beziehung zum Therapeuten. Wenn die (z.B. aus zwischenmenschlichen Gründen) nicht möglich ist, wird auch die Therapie nicht so sehr viel bringen.

    Viel Erfolg, und Alles Gute!

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