Ukraines Präsident Selenski will in die EU geflüchtete, wehrpflichtige Männer per Auslieferung zurückhaben. Die Bundesregierung gibt sich ahnungslos.
Ukrainische Militärdienstpflichtige, die derzeit in der EU leben, sind in heller Aufregung. Präsident Selenski hat angekündigt, Auslieferungsanträge zu stellen, um all diejenigen zu rekrutieren, die geflüchtet sind. Sie alle erhalten derzeit einen befristeten humanitären Aufenthaltsstatus nach der sogenannten Massenzustromrichtlinie der EU.
Ich finde es immer wieder ernüchternd, dass es im öffentlichen Diskurs praktisch keine nennenswerten Beiträge dazu gibt, dass die Pflicht, für sein Land an der Front zu verrecken, verstümmelt oder traumatisiert zu werden, ausschließlich Männer trifft. Das wird einfach als völlig selbstverständlich hingenommen und es wird nur ganz sachlich darüber berichtet. Ich will gar nicht wissen, wie groß der Aufschrei (berechtigterweise) wäre, wenn die Ukraine Auslieferungsanträge für alle in der EU lebenden Frauen stellen würde, um die Population wieder zu vergrößern. Ungefähr diesen Aufschrei würde ich mir auch für die ukrainischen Männer wünschen.
Es trifft hier aber die Leute nicht unabhängig vom Geschlecht.
Genauso wie man bei Diskriminierung, die überwiegend Frauen trifft, nicht jedes Mal mit "but what about the men?!?!?!" kommen muss, kann man auch hier einfach Mal hinnehmen, dass hier überwiegendst Männer betroffen sind, und muss den Aspekt nicht wegrelativieren.
Ein guter Einwand. Im privaten Umfeld von mir wird das immer damit begründet, weil die Frauen die Kinder bekommen und ausfallen, müssen die Männer halt zur Bundeswehr oder Zivildienst.
Das ist halt ne reine Ex-Post-Rechtfertigung. Frauen leben auch ein paar Jahre länger - und sie werden auch definitiv nicht vom Staat gezwungen, Kinder zu kriegen.
Eine feindliche Invasion ist dem Überleben auch nicht unbedingt zuträglich.
Also ja ist scheiße und ich kann auch jeden verstehen, der versucht nicht eingezogen zu werden. Ich weiß aber auch nicht, was der Staat anders machen kann, wenn es zu dieser Situation kommt.
Hier ist Prävention durch Diplomatie und eine verteidigungsfähige Berufsarmee mit Abstand das beste Mittel.
Naja, ja akut kann man der Situation durch Flucht entgehen. Aber das funktioniert nicht als Universale Maxime. Wenn alle immer nur flüchten wenn jemand das Land einnehmen will, gibt es irgendwann keinen Ort mehr an den man flüchten kann.
Ich finde es immer wieder ernüchternd, dass es im öffentlichen Diskurs praktisch keine nennenswerten Beiträge dazu gibt, dass es überhaupt eine Pflicht gibt, für sein Land an der Front zu verrecken, verstümmelt oder traumatisiert zu werden.
Liberaldemokratische Werte schützen leider nicht vor Unterdrückern und Despoten von außen. Idealismus ist in der Verteidigung fehl am Platz und zwar ganz besonders deswegen, weil da wieder spieltheoretische Dynamiken und Kaskaden am Werk sind: Für jeden, der die Flucht ergreift, sinkt die Kampfkraft, was die Flucht attraktiver macht. Eine auch nach außen wehrhafte Demokratie braucht daher eine Wehrpflicht, wenn sich nicht genug freiwillige Rekruten findet.
Jetzt könnte man natürlich sagen, als Individuum kann man immer in die nächste offene Gesellschaft fliehen. Das externalisiert aber die eigene Verantwortung und funktioniert nur eine begrenzte Zeit. Linke, Liberale, Demokraten haben also die Pflicht, die eigene Souveränität zu schützen, auch wenn sie sich dieser Verantwortung entziehen wollen.
Meiner Meinung nach sollte es weder Wehrpflicht noch Außen geben. Und auch hier: Was heißt genug? Glaubst du ernsthaft, dass Viktor Orban oder Wladimir Putin morgen vor der Tür ständen, wenn wir auf eiben Schlag 10% weniger Soldaten und keine Wehrpflicht mehr hätten? Die Spieltheorie ist da weitaus komplexer als du es darstellst und ist keineswegs Berechtigung für die Wehrpflicht.
In den 90ern hat Fukuyama das Ende der Geschichte ausgerufen und zwar als Folge der zusammengebrochenen Sovietunion. Sah ja auch ^[bis auf den globalen Amoklauf der US-Amerikaner nach dem 11.9.] alles vielversprechend aus. Und dann kam 2014. Stellt sich heraus, dass die Sovietunion gar nicht weg ist, sondern die ganze Zeit im Schatten gelauert hat. Dass es noch mal Krieg in Europa geben würde, galt trotzdem als ausgeschlossen - bis 2022.
Deine Gewissheit, dass Putin hier nicht anklopfen wird, teile ich jedenfalls nicht. Und selbst, wenn man sich darauf ausruhen möchte, dass es unwahrscheinlich ist, muss man sich der Eventualität stellen, statt das Glück herauszufordern. Bedenke auch, dass Uncle Sam wahrscheinlich nicht mehr da ist, um dir das Händchen zu halten, wenn es so weit ist.
Dass Russland insgeheim noch die Sowietunion ist, ist aber Blödsinn. Fukuyama hat im Grunde behauptet, dass nach dem Fall des Kommunismus nur noch (friedlicher) neoliberaler Wettbewerb existieren wird, und alle Konflikte, zumindest globalpolitisch, somit aufgeräumt werden.
Dein Einwand ist berechtigt und in der Sache richtig, geht aber am Argument vorbei: Die Russische Föderation sieht und verhält sich in der Nachfolge der Sowjetunion, erhebt wiederholt Ansprüche auf vormalige Gebiete der Sowjetunion und setzt diese einseitig erhobenen Ansprüche mit bewaffneten Besetzungen dieser Gebiete (= imperialistischen Kriegen) durch. Sie verfügt ebenso über ein atomates Arsenal.
Ungeachtet des makroökonomischen Hintergrunds von Fukuyamas Aussage gelten für vom Angriff durch die Russische Föderation bedrohte Staaten also dieselben spieltheoretischen Regeln wie jene, die zum Kalten Krieg für Nicht-Sowjet-Staaten galten. Das Argument hast du mit deinem Beitrag nicht entkräftet.
Wenn es nicht genug Menschen freiwillig machen, braucht es dafür nur mal eine Pflicht. Ich würde auch lieber flüchten als für mein Land zu kämpfen, aber ich verstehe auch, dass es wichtig ist.
Woher kommt der Gedanke, dass unfreiwillig Eingezogene dann gute Soldaten abgeben? Wer vorher wegrennen will, macht das bei Feindkontakt sicherlich auch und gefährdet damit auch alle anderen, die freiwillig dort sind. Oder man hält es wie Russland und stellt Freiwillige mit gezogenen Waffen hinter die Unfreiwilligen.
Woher kommt der Gedanke, dass unfreiwillig Eingezogene dann gute Soldaten abgeben?
Ganz einfach weil es in der Umsetzung zu einer Form der Normalität wird. Bei einer Verpflichtung sehen die Massen eine Notwendigkeit in der Sache und solidarisieren sich in diesem geschaffenen Rahmen. Unfreiwillig Eingezogene Soldaten gepaart mit Freiwilligen ist am Ende eine deutlich stärkere Streitmacht als nur die Freiwilligen. Und an die Front muss sowieso nicht jeder. Auch Grabenschaufler sind bessere Soldaten als gar keine. Bei Flucht wirst du üblicherweise wegen Landesverrats vor das Kriegsgericht gestellt, also ist das noch mal ein zusätzlicher Anreiz.
Da ist ersteinmal eine Voraussetzung für deine Aussage: Ist es überhaupt so, dass es nicht genug freiwillig machen? Was heißt genug? Und dann bleibt da noch die dogmatische Argumentation, dass es diese Pflicht bräuchte, wenn die Voraussetzung erfüllt ist. Ich lebe wesentlich lieber im ganz okayen Deutschland als im - freundlich ausgedrückt - nicht sehr lebenswerten Russland. Aber das ist nicht der einzige Fall, den es zu betrachten gilt. Was, wenn zwei von den Bedingungen her gleichwertige Länder Krieg führen? Interessiert es dich da, wer jetzt der Chef ist, solange hinterher alles gleich gut oder schlecht ist? Oder gar wenn du im bösen Land lebst? Wäre es da nicht ganz nett evtl doch eher zu einem Land zu gehören, in dem das Leben in allen Bereichen besser ist?
Und du sagst es ja selbst, du würdest fliehen. Andere würden kämpfen. Und dann fliehst du, dein Land gewinnt und du kannst nicht zurück, weil du ein "Verräter" bist? Alles Quatsch. Wehrpflicht ist scheiße, und es sollte sie nicht geben. Nirgends.
In der Tat. Schon geil, wie nahe OP dem eigentlichen Skandal ist, um dann komplett überfordert zu verlangen, dass Frauen doch bitte auch verrecken sollen.
Am Grundgesetz waren tatsächlich auch Frauen beteiligt, wenn auch vergleichsweise wenige - vier von 65 stimmberechtigten Abgeordneten des parlamentarischen Rates waren Frauen.
Die sozialen Normen, auf die die Wehrpflicht ausschließlich für Männer zurückgeht sind natürlich deutlich älter.
Sogar das neue Selbstbestimmungsgesetz enthält extra eine Frist, dass AMAB-Menschen, welche kurz vor Eintritt eines Verteidigungsfalles den Geschlechtseintrag haben anpassen lassen, im Bezug auf die Wehrpflicht wie Männer behandelt werden.
"Klar respektieren wir dein Recht auf Selbstbestimmung. Außer es geht um Kriegsdienst, dann bist du ein wertloser Mann und sollst gefälligst wie die anderen wertlosen Männer elendig im Schützengraben verrecken, während die echten(tm) Frauen nach Neuseeland oder sonstwohin fliehen dürfen"
Ich finde es immer wieder ernüchternd, dass es im öffentlichen Diskurs praktisch keine nennenswerten Beiträge dazu gibt, dass die Pflicht, für sein Land an der Front zu verrecken, verstümmelt oder traumatisiert zu werden, ausschließlich Männer trifft.
Die Debatte gab es bei uns durchaus, zuletzt in den 2000ern als das Ende der Wehrpflicht zur Diskussion stand.
Dass wir die Wehrpflicht in Deutschland nicht diskutieren liegt also daran, dass wir sie nicht haben und ob es uns zusteht die Wehrpflicht anderer Länder zu diskutieren, gerade derer, die aktuell im Krieg sind während wir uns hier friedlich zurücklehnen und zuschauen können ist halt auch fragwürdig.
Wobei ich jetzt den Kern des Problems weniger in der Gleichstellung an sich sehe, sondern in der Annahme, dass erstens Männer für ihr Land zu kämpfen hätten und zweitens Frauen als Gebährmaschinen für das Volk zu dienen hätten.
Will sagen: denjenigen, die für Gleichberechtigung kämpfen ist ja nicht unbedingt vorzuwerfen, dass wir Männer zwingen, eine Waffe in die Hand zu nehmen. Vielmehr ist die Ungleichbehandlung der Frau und die Idee, dass Männer für ihr Land zu kämpfen hätten beides archaisch.
Kann dieses Gebashe gegen Feminismus eh nicht mehr lesen. Es wird oft nur gesehen, welche Vorteile Frauen davon erlangen, aber nie, dass auch Männer davon profitieren, wenn dieser ganze antiquirte Geschlechtermüll endlich aus dem Fenster fliegt. Aber als Mann ist es ja geil seine Gefühle nicht zuzulassen und nie zu weinen, um nur ein kritisches Beispiel zu nennen.
Aber Feminismus hat doch "femini" im Namen, wie kann es da für Männer etwas positives sein?!
Mir geht's genau wie dir. Schau dir allein Mal an, welches Verhältnis der durchschnittliche Vater heutzutage zu seinen Kindern hat im Vergleich zu unserer Elterngeneration. Wenn ich sehe, wie viel Freude meine Kollegen an ihrem Nachwuchs finden, trauere ich für jeden Vater, der das aufgrund von rigiden Geschlechterrollen verpasst hat.
Na ja, auch wenn ich grundsätzlich für die Gleichberechtigung bin ist es durchaus nicht komplett falsch dass sich bei einem größeren Krieg oder ähnlichen Katastrophen mit vielen Toten die Gesamtbevölkerung schneller wieder erholen würde wenn anteilsmäßig mehr Frauen (im entsprechenden Alter) überleben. Das allerdings natürlich nur wenn man so archaische Ideen wie strikte Monogamie aus dem Fenster wirft und rein die Biologie betrachtet. Frauen sind halt am Prozess der Kinderzeugung doch etwas länger beteiligt als Männer bevor sie in der Lage sind das nächste Kind zu kriegen.
Versuchst du grad für die Gleichberechtigung und eine rein männliche Wehrpflicht zu diskutieren indem du vorschlägt Frauen nach dem Krieg als Gebährmaschinen herhalten zu lassen?
Ah ja, plötzlich ist die Gleichbehandlung der Frau wichtig. Bewältige erst einmal die Diskriminierung von und Feindlichkeit ggü. Frauen in der Gesellschaft und gerade dem Militär hier in Deutschland. Diese Scheinempörung ist einfach nur lachhaft.
Dass in der Ukraine Geschlechterrollen immer noch einen großen Teil in ihrer Gesellschaft spielen, ist natürlich ein ernstes Problem. Aber nur weil wir in ein paar Teilen der EU dieses Verhalten ein paar Jährchen halbwegs hinter uns haben, bedeutet das nicht, dass wir ohne Achtung auf die Geschichte, Entwicklung und Hindernisse bei anderen Nationen, denen unsere neuen, oft noch gar nicht realisierten, Maßstände aufzwingen können.
Mit dem Menschenrecht auf Kriegsverweigerung tun wir uns im Westen auch schwer. Aber aktiv an einem Missstand dürfen wir uns dennoch weder beteiligen noch verschärfen.