LSD, MDMA und Co haben sich bei Depressionen und Angststörungen als heilsam erwiesen. Neurowissenschafter könnten nun einen Grund dafür gefunden haben
LSD, MDMA und Co haben sich bei Depressionen und Angststörungen als heilsam erwiesen. Neurowissenschafter könnten nun einen Grund dafür gefunden haben
Menschen unter LSD-Einfluss bilden sich über ihre Umwelt oft ein neues Urteil. Der Musikgeschmack beispielsweise kann während der kunterbunten Welle plötzlich ein völlig anderer werden, wie Schweizer Forschende 2017 im Rahmen eines Laborexperiments festgestellt haben. Manche Lysergsäurediethylamid-Erfahrungen sind vorübergehend, andere prägen nachhaltig. Welche Gehirnveränderungen im Detail den merkwürdigen Effekten psychedelischer Drogen zugrunde liegen, ist jedoch allenfalls in Ansätzen verstanden, bisher stocherte man noch weitgehend im Dunkeln.
Grenzen verschwimmen
Immerhin gelang es Wissenschaftern, vereinzelt einen Blick ins umwölkte Gehirn zu werfen. Dabei beobachtete man etwa, dass sich bei LSD-induzierten Bewusstseinszuständen die gehirninterne Kommunikation verschiebt: Der Austausch zwischen für Planung und Entscheidungsfindung zuständigen Hirnarealen geht zurück, zugleich nimmt die Kommunikation zwischen jenen Zentren zu, die sensorische Empfindung und Bewegung verarbeiten. Auch die Aktivität der Amygdala zeigte sich im LSD-Rausch verändert. Diese Region des Gehirns ist zentral für die Verarbeitung von Emotionen verantwortlich.
Nicht zuletzt wirkt die Substanz auch auf Gehirnregionen ein, die für die Unterscheidung zwischen der eigenen und anderen Personen wichtig sind – die Grenzen beginnen unter LSD-Einfluss während sozialer Interaktionen zu verschwimmen. Das untermauert unter anderem die Annahme, dass Selbstwahrnehmung und soziales Miteinander eng miteinander verwoben sind. All diese Erkenntnisse und Beobachtungen nähren die Überzeugung, dass sich psychedelische Substanzen gut für die Behandlung von psychiatrischen Erkrankungen eignen. Zahlreiche klinische Tests bewiesen bereits ihre nachhaltige Wirkung bei Depressionen oder Angststörungen.
Gehirnöffner
Warum Psychedelika in so vielen Fällen erfolgreich und langfristig Linderung verschaffen, könnte nun ein Team um Gül Dölen von der Johns Hopkins Medicine in Baltimore, Maryland, am Mäusemodell herausgefunden haben. Möglicherweise öffnen diese Substanzen gleichsam das Gehirn für Veränderungen: Eine "kritische Phase" lang sind wir dann empfängnisbereiter und eher willig, Signale aus der Umgebung in unser neuronales Netzwerk einzuschreiben.
Dass es diese entscheidende aufnahmenbereite Perioden gibt, bekräftigen Untersuchungen verschiedener Fachrichtungen: In solchen Phasen lernen Vögeln ihren Gesang und Menschen eine neue Sprache oder motorische Fähigkeiten, die sie nach einem Schlaganfall verloren hatten. Der Hintergrund: Während bestimmter Entwicklungsphasen des Gehirns zeigt das Nervensystem eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber verhaltensrelevanten Reizen. In dieser Zeit sind die synaptischen Verschaltungen formbar und flexibel, und Verhaltensweisen werden besser verankert. Dieses in der Fachwelt als "kritische Periode" bezeichnete Zeitfenster eignet sich ganz besonders gut für therapeutische Maßnahmen.
Eine überraschende Beobachtung
"Das Fenster schließt sich jedoch irgendwann, und dann ist das Gehirn viel weniger offen für neue Lernerfahrungen", sagte Dölen. Seinem Team ist es 2019 gelungen, bei Mäusen mithilfe von Ecstasy (MDMA) dieses kritische Lernfenster für eine Weile wieder zu öffnen. Den Effekt schrieben die Forschenden damals den prosozialen Eigenschaften von MDMA zu. Daher waren Dölen und seine Gruppe überrascht, als sie bei ihrer aktuellen Studie auch mit Drogen mit geringeren prosozialen Auswirkungen kritische Perioden hervorrufen konnten.
Zum Einsatz kamen bei dieser Untersuchung fünf psychedelischen Substanzen: Ibogain, Ketamin, LSD, MDMA und Psilocybin. Die erwachsenen männlichen Mäuse durchliefen zu Beginn einen gut etablierten Verhaltenstest, um festzustellen, wie sie unter normalen Umständen von ihrer sozialen Umgebung lernen. Im Rahmen eines Trainings mit Umgebungassoziationen lernten die Mäuse außerdem zu signalisieren, wie offen sie gerade für soziales Lernen sind. Zur Verblüffung des Teams hatten alle fünf Drogen eine entsprechende Wirkung: Mit einem für die kritische Periode typischen Verhalten zeigten die Mäuseriche im Drogenrausch großes Interesse an ihrer sozialen Umgebung und eine Lernbereitschaft, die man so nur von Jungtieren kennt.
Gelerntes verfestigen
Bei dem Mäusen auf Ketamin blieb die sogenannte kritische Periode des sozialen Belohnungslernens 48 Stunden lang offen. Bei Psilocybin dauerte diese Phase dagegen zwei Wochen. Bei Mäusen, denen MDMA, LSD und Ibogain verabreicht wurde, blieb die kritische Periode zwei, drei und vier Wochen lang offen. Wie das Team im Fachjournal "Nature" schreibt, dürften beim Menschen vergleichbare Effekte während der Wirkungsdauer der jeweiligen Droge auftreten.
Dölens Gruppe interessierte sich jedoch nicht nur für das Lernverhalten der Mäuse, es wollte der Sache auch auf den molekularen Grund gehen. Dabei erkannten die Forschenden, dass LSD und Psilocybin den Rezeptor für den Neurotransmitter Serotonin nutzen, um die kritische Periode einzuleiten. Die Substanzen MDMA, Ibogain und Ketamin dagegen nicht.
Blick in die Gene
Auf genetischer Ebene wurden die Wissenschafter schließlich fündig: Dölen und sein Team identifizierten Unterschiede in der Expression von 65 proteinproduzierenden Genen während und nach dem lernkritischen Zeitraum. Etwa 20 Prozent dieser Gene regulieren Gerüstproteine in Gehirnzellen im Nucleus accumbens – einem Bereich, der mit sozialem Lernverhalten auf Basis von Belohnung in Zusammenhang steht.
"Der offene Zustand der kritischen Periode könnte eine Gelegenheit für eine Integrationsphase nach einer Behandlung sein", sagte Dölen. "In dieser Phase könnte man einen Lernzustand verfestigen." Kliniker sollten die Zeit nach der therapeutischen Einnahme psychedelischer Drogen als wichtige Zeit der Heilung und des Lernens betrachten, forderte er daher. Generell sieht der Neurowissenschafter ein deutlich breiteres Spektrum an Krankheiten als bisher, die man mit psychedelischen Substanzen behandelt sollte. Dazu zählen etwa Schlaganfallpatienten, denen LSD und Co in der Therapiephase und beim Wieder-auf-die-Beine-Kommen wertvolle Unterstützung leisten könnten.
Kann mir jemand erklären, weshalb bei klinischen Studien zu Psychedelika so selten kritisiert wird, dass sie nicht verblindet sind? Ich persönlich bin nicht überzeugt, dass es einen signifikanten Effekt gibt, bis ein Weg gefunden wurde, den Placebo-Effekt als (einzigen) Wirkmechanismus auszuschließen.