Dünn sein und dünn zu bleiben ist in dieser Gesellschaft eine Leistung, die du erbringst. Zumindest wird das so wahrgenommen. Ein dünner Körper ist unter Kontrolle, der Geist steht über dem Körper.
👏👏👏👏
Scheiss Individualismus, scheiss Liberalismus, jeder Mensch lebt in einem Kontext von dem man sich nicht trennen kann. Der Körper wie auch der Geist ist fortwährend in Bewegung und in Veränderung innerhalb eines materiellem Kontext aus dem man sich nicht lösen kann. "Sei einfach gesund/glücklich", "Streng dich doch einfach mal ein bisschen an" sind keine Hilfen, man muss an die Ursachen ran wenn man an sich etwas bewusst verändern will. Und wenn nicht dann halt nicht. Leben hat ein Recht auf leben.
Schon richtig, systemisch kann man zum Beispiel sehr gut bei unnötiger, kalorienreicher, ballaststoffarmer, hoch verarbeiteter Nahrung ansetzen, genauso wie auch bei der Abhängigkeit vom Auto durch bessere Stadtplanung. (Özdemirs Vorschlag für ein Kinderwerbeverbot ging ja genau in diese Richtung.)
Es ist also schon richtig, die Last vom Individuum zu nehmen. Aber die Haltung "es ist ok, dass du fett bist", obwohl das absehbar Gesundheitsprobleme auslösen wird, die für die Person selbst schmerzhaft und für die Gesellschaft teuer werden, finde ich auch schwer zu rechtfertigen.
Ich habe eine chronische Erkrankung. Ich mache trotzdem nicht genug Sport und ernähren könnte ich mich wahrscheinlich auch besser.
Ich bekomme teure Medikamente und jede Woche Physiotherapie.
Aber mir siehst du es nicht an, bei mir gibt es keine Vorwürfe, keine Blicke und kein "du bist (zu) teuer für diese Gesellschaft" (es tut richtig weh den Satz zu schreiben). Bitte akzeptiert, dass es nicht einfach ist diese Kämpfe zu kämpfen.
Natürlich kann man mit jedem Körpergewicht krank sein und auch Essstörungen haben. Und klar ist es wesentlich besser, wenn Menschen mit einem leichten Übergewicht glücklich sind anstatt einem für sie unrealistisch niedrigen BMI nachzulaufen. Aber ab einem gewissen Körpergewicht verursacht das Gewicht an sich bereits Probleme. Ich finde es (sowohl individuell als auch kollektiv) unethisch, zu behaupten, dass das so gut sei.
Ich mache trotzdem nicht genug Sport und ernähren könnte ich mich wahrscheinlich auch besser.
Es geht gar nicht darum, krass "Sport" zu treiben, also in Fitnessstudios zu gehen und zu pumpen oder jeden Tag 100 km Rad zu fahren. Es geht eher darum, im Alltag jeden Tag 3-5 km zu gehen und dazu angemessen zu essen. Und wenn du das nicht schaffst, dann liegt das nicht mal primär an dir sondern daran, wie stark diese Gesellschaft darauf ausgerichtet ist, Konsumbedürfnisse und Bequemlichkeit zu schaffen.
Aber mir siehst du es nicht an, bei mir gibt es keine Vorwürfe, keine Blicke und kein “du bist (zu) teuer für diese Gesellschaft” (es tut richtig weh den Satz zu schreiben).
Auf dieser individuellen Ebene möchte ich meine Aussage nicht verstanden wissen. Und natürlich müssen Einzelpersonen mit gesundheitlichen Problemen versorgt werden. Und ich bin absolut dagegen Menschen aufgrund ihres Übergewichts individuell zu beleidigen oder auszugrenzen. Aber gleichzeitig sollte es ansprechbar sein, dass unsere Art zu leben systematisch Probleme sowohl auf kollektiver als auch auf individueller Ebene verursacht.
Bitte akzeptiert, dass es nicht einfach ist diese Kämpfe zu kämpfen.
Aber die Haltung "es ist ok, dass du fett bist", obwohl das absehbar Gesundheitsprobleme auslösen wird, die für die Person selbst schmerzhaft und für die Gesellschaft teuer werden, finde ich auch schwer zu rechtfertigen.
erstens ist das argument "zu teuer für die gesellschaft" richtiger bockmist mit dem der onus für die finanzierung von gesundheitsfürsorge wieder von der gesellschaft auf das individuum übertragen wird.
zweitens ist dieses "AbEr Es IsT dOcH gEsUnDhEiTsScHäDlIcH dAvOr DaRf MaN nIcHt dIe AuGeN vErScHlIeSsEn" so ein blödes totschlagargument, glaub mir das ist allen dicken klar. Ich kennen niemanden der das bestreitet, denn in wirklich jeder diskussion über fettleibigkeit muss man das erstmal das anerkennen bevor es um das genauere Thema geht sonst kommt irgendsoein schlaumeier daher und fühlt sich berufen alle daran zu erinnern. Sogar in dem Interview wird das schonmal angesprochen damit diesem spruch erstmal genüge getan wird. Es ist ermüdend, beschämend, schafft schuldgefühle gerade da wo man welche abbauen will, denn aus einer schuld heraus sich an so ein riesenunterfangen wie ernährungsumstellung anzugehen verurteilt das ganze schon im vorfeld zum scheitern.
Edit: und wenns kein schlaumeier ist dann sind es häufig die eigenen schuldgefühle oder weil man es so oft schon vorgebetet bekommen hat das man einfach reflexartig schonmal bezug darauf nimmt.
Ich denke das Problem ist hier die fehlende Nuancierung in Deutschland. Man kann Fettleibigkeit als ein Problem anerkennen, ohne dass man das als Versagen der betroffenen Personen sehen muss.
Sie sollte aber in keinem Fall normalisiert oder verharmlost werden. Und dafür, gesellschaftlich gegen Fettleibigkeit vorzugehen, sind die gesellschaftlichen Kosten natürlich relevant. Wir bekommen es bei Tabak ja auch hin, Rauchen unattraktiver zu machen, und mehr Menschen vom Rauchen weg, bzw. weniger zum Rauchen hin zu bekommen.
Deswegen sollte der Maßstab nicht "es ist okay, dass du fett bist." sein, sondern "wie können wir Bedingungen schaffen, in denen weniger Menschen fettleibig werden, und mehr Menschen aus der Fettleibigkeit rauskommen".
Das fängt dann bei gesunder Ernährung und ausreichend Bewegung in der Schule an und geht dann mit echten Maßnahmen zur Stressreduktion, günstigem Zugang zu gesunden Lebensmitteln und Bewegung, usw. im Erwachsenenalter weiter.
Es werden in diesem Kontext immer und immer wieder zwei verschiedene Arten von Problemen zusammengeworfen. Es gibt den rein medizinischen Aspekt, Fettleibigkeit birgt gesundheitliche Risiken für jede Facette der Gesundheit. Rauchen ist hier in der Tat das Standardbeispiel. In einem rein medizinischen Kontext (und ich meine akademisch medizinisch, nicht das Gesundheitssystem, Standardarztbesuch o. ä.) kenn ich niemanden der sich dagegen wehren würde Fettleibigkeit als Risikofaktor (und damit als potentielles Problem) einzubringen.
Das Problem um das es bei Fettakzeptanz ist ein generelles Problem der Stigmatisierung von medizinischen Problemen welche mit dem Individualismus einhergeht. Der Geist muss über den Körper herrschen. Diese Stigmatisierung betrifft nicht nur dicke Menschen, sondern Menschen mit Lernbehinderungen, Menschen mit psychischen Krankheiten etc. Aber so wie es Stigmas speziell für schizophrene, autistische, depressive, gehbehinderte, hörbehinderte usw. Menschen gibt, so haben auch dicke Menschen Stigmas die nur auf sie zutreffen. Um diese Stigmas geht es hier.
Wenn Leute also sagen "es ist okay dick zu sein" meinen sie damit eben nicht "du kannst die medizin ignorieren". Es ist vielmehr im Tenor von "es ist okay Trisomie-21 zu haben", "Es ist okay depressiv zu sein", kurzum "Es ist okay so zu sein wie man ist". Es geht um die Normalisierung von gesundheitlichen Problemen weil diese nunmal normal sind.
Von gesellschaftlicher Seite her aber nunmal leider nicht, aber diese Diskussion wird, besonders im Internet aber auch iel, immer wieder von Leuten torpediert die, aus einem mir unerfindlichem Grund, unbedingt darauf beharren dass es "ja auch gesundheitliche Probleme gibt, die können wir doch nicht ignorieren!!". Ich reagiere bei diesem Thema halt noch allergischer als bei anderem ableismus oder wie man das auch nennen mag, weil mir ein sehr persönlicher Blick hinter die Kulissen des Fettbeschämens gewährt wurde. Es sind Abgründe von denen man so ohne weiteres nichts ahnen kann.
Als jemand der im nahen Umfeld Menschen mit Trisomie 21 hat, wehre ich mich entschieden dagegen, dass diese Behinderung mit dem Griff in das Bullshit-Regal anstatt dem Gemüse-Regal im Supermarkt gleichgestellt wird, und sei es nur ansatzweise.
Ja, es gibt solche, die tatsächlich schwer krank sind und deswegen fett sind. Aber die Meisten mögen halt scheiße fressen und rumhängen, und irgendwann sieht man das auf der Waage.
Ich finde, Du hast einen sehr interessanten und guten Punkt aufgeworfen. Vermutlich wäre die Debatte deutlich einfacher, wenn wir zwei unterschiedliche Begriffe für die beiden Kontexte hätten :)
Danke sehr. Ich denke die Debatte wäre schon sehr viel einfacher wenn Leute nicht voreilig schliessen würden sie wüssten schon was gemeint ist und dann mit aller vehemenz dagegen argumentieren.
Oder das man anerkennen könnte dass wenn leute unter etwas leiden wie ihrem gewicht, aber trotzdem (scheinbar) nichts dagegen unternehmen, dass dann wohl noch was anderes im Spiel ist ausser mangelnde selbstkontrolle.
Für die meisten Menschen ist dünn sein und bleiben eine Leistung. Fett werden ist heutzutage einfach, die Trends zeigen das ja. Nur sehr wenige bleiben ihr leben lang auf Normalgewicht egal was sie essen und ob sie Sport treiben oder nicht.
Ahja, ich habe wohl verpasst, dass Menschen neuerdings Energie aus Photosynthese erzeugen können und deshalb ihr Gewicht nicht kontrollieren können. Thermodynamik gilt auch für den menschlichen Körper.
Der Umkehrschluss das fette Menschen ihre Probleme sich selbst einhandeln (edit: also verdienen) wenn sie diese Leistung nicht erbringen ist hingegen das Problem. Überhaupt dass das Recht auf ein Leben frei von diskriminierung und das recht auf gesundheitliche fürsorge derart von der Leistung des Individuums abhängt ist das tieferliegende Problem im Liberalismus.
Das Problem, was ich mit dieser Argumentation habe, ist, dass es auf vage Gründe ausgelagert wird, die man nicht ändern kann. Der Mythos, dass der Stoffwechsel sich ab 30 ändert, ist eins davon. Der Stoffwechsel arbeitet bis ca. 60 relativ konstant: https://www.science.org/doi/10.1126/science.abe5017
Der Grund für Gewichtszunahme mit 30 liegt eher daran, dass dann die Muskelmasse und damit der Grundumsatz geringer wird, etwas was man mit Sport oder Bewegung kontern könnte.
Kann sein, dass ich deinen Beitrag nicht wirklich verstanden habe. Mir ging es darum, dass die Ursachen für Fettleibigkeit komplex sind, aber auch eine Komponente beinhalten, die man als Individuum selbst in der Hand hat. Diese Komponente wird aber gern ignoriert und sich lieber auf die externen Ursachen versteift, die man schlecht ändern kann.
Ich weiss nicht warum du mir das sagst. Mir geht es um die Diskussion für mehr Akzeptanz für dicke Menschen. Das dicken Menschen immer wieder vorgeworfen werde sie seien selbst an ihrem Gewicht schuld, dass sie wenn sie sich ein bisschen mehr Mühe geben würden doch so schlank wie der Rest der Bevölkerung wären.
Das Ernährung eine Rolle beim Gewicht spielt bestreitet niemand. Jemals. Ist mir nicht untergekommen. Aber trotzdem wird sämtliche Diskussion um das Thema erstickt von Leuten die meinen das muss unbedingt immer gesagt werden. Leute die keine Ahnung vom Thema an sich haben aber denen es ganz wichtig ist dass diese faulen Dicken begreifen dass wenn sie doch nur ordentlich essen würden ihre Gewichtsprobleme sich in Luft auflösen würden.
Das es Mythen und Fehlinformationen um das Thema Ernährung gibt ist auch jedem klar. In dem Artikel geht es aber um die soziale Komponente des Dickseins, in den Kommentaren hier hingegen nur um Diät, Diät, Diät. Und gleich mehrere Superschlauen die unbedingt gesagt wissen wollen dass Dicksein mit Ernährung zusammenhängt!! Ganz wichtig!! Nicht vergessen!!!! Diese blöden SJWs die doch immer wieder die Realität verleugnen....