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Ausbildung von Psychotherapeuten: Die finanzielle Realität

taz.de Ausbildung von Psychotherapeuten: Die finanzielle Realität

Psychotherapie ist in – die Ausbildung der The­ra­peu­t:in­nen aber immer noch teuer. Die Bundesregierung muss die Finanzierung schnellstens klären.

Ausbildung von Psychotherapeuten: Die finanzielle Realität
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  • Wenn es nur die Finanzierung wäre, könnte jede:r Psychotherapeut:in in Ausbildung einen Bildungskredit aufnehmen und die Sache wäre gegessen. Aber es ist so. viel. mehr. als. das. Die Ausbildung ist komplett Banane, gewachsen auf einem System der Ausbeutung und des Bildungswuchers, aber weil alle Beteiligten selbst einmal durch seine Mühle getrieben wurden, sind wir alle derart daran gewöhnt, dass das System blind dafür geworden ist, wie bizarr es eigentlich funktioniert.

    Kurzüberblick über die Ausbildung, für die man monatlich mehrere hundert Euro hinlegt:

    Im ersten Ausbildungsabschnitt (nach mind. 5 Jahren Studium, einem Bachelorabschluss und einem Masterabschluss) ist man die ersten 1,5 Jahre im Praktikum. Man hat rechtlich und hierarchisch den Stand eines Kaffeekochers, nicht einmal Anspruch auf Mindestlohn. Da die Kliniken aber mit den "PiAs" kalkulieren und diese als ganz normale, billige Arbeitskräfte einsetzen, bekommt man von Tag 1 an den Workload und die Verantwortung einer nach TVöD14 bezahlten Fachkraft.

    Im zweiten Ausbildungsabschnitt muss man sich selbstständig machen. Es läuft so: Wir behandeln Patient:innen, melden unserem Institut wie viel wir gearbeitet haben, die rechnen mit den Krankenkassen ab und erhalten das Geld dafür. Danach, wenn die Institute bezahlt worden sind, dürfen wir eine Honorarrechnung stellen, um einen Teil dessen ausgezahlt zu bekommen, was wir erwirtschaftet haben (typischerweise 4-6 Monate danach). Von 100€ pro Therapiestunde bekommt das Institut 60€ als Gebühr und dann nochmal 4-10€ Raummiete. Für jede vierte Therapiestunde müssen wir eine Stunde Supervision bezahlen, das kostet uns jeweils 100€ pro Stunde, die das Institut direkt abzieht. Die Arbeit außerhalb unserer Therapiestunden, also Dokumentation, Befunde, Testauswertungen, Arztbriefe etc. wird natürlich gar nicht bezahlt. Gerade am Anfang kommen auf eine Therapiestunde (für die man ~37€ abzüglich Supervisionsgebühren erhält) easy 4-6 Stunden Vor- und Nacharbeit. Rechtlich und steuerlich haben wir das volle Risiko eines ganz normalen Selbstständigen, müssen uns selbst versichern und eine Steuererklärung abgeben. Aber weil es so wenig Geld abwirft, das nicht einmal die Ausbildungsgebühren gedeckt werden können, schafft kaum jemand diese Ausbildungsabschnitt in Vollzeit, sondern brauchen einen 50-80% Klinikjob nebenbei, wodurch sich dieser Teil der Ausbildung gerne mal auf 2-4 Jahre streckt.

    Jedes zweite Wochenende finden Seminare statt. Manche Institute legen diese SA-SO, andere FR-SA, allerdings hat man in den Kliniken natürlich keinen Anspruch auf zusätzliche Fortbildungstage, mit denen das ausgeglichen werden könnte.

    Die Ausbildung ist eine schöne Sache, wenn man wohlhabend verheiratet ist, keine anderen Verpflichtungen oder Probleme im Leben hat, psychisch resilient, verausgabungsbereit sowie frustrationstolerant ist und es insgesamt nicht so eilig hat, mit der Ausbildung fertig zu werden. Vor 30 fertig zu sein kann man als Psychotherapeut:in fast vergessen, selbst wenn man direkt nach dem Abi loslegt.

    Nach der Ausbildung ist das wirtschaftlich schlaueste übrigens für die Institute zu arbeiten oder Supervision anzubieten. Nirgendwo sonst haben wir es so leicht, mit wenig Arbeit richtig viel Geld zu machen. Kann halt passieren, dass man dann eines Tages selbst anfängt, zu rechtfertigen, was für ein Murks hier seit Jahrzehnten gemacht wird.

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