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Alljährliches Chaotisch – Anarchistisches Treffen #2

Wir wollen die Anarchie. Wir wollen Freiheit und Autonomie für alle ohne Herrschaft und Grenzen. Wir wollen die Umwälzung des Bestehenden. Wir wollen die soziale Revolution.

Daran hat sich seit dem letzten ACAT-Treffen nichts geändert. Letztes Jahr sind unter anderem folgende Fragen dort diskutiert worden: Die Frage ob spezifische Kämpfe heute immer noch ihre Gültigkeit haben bzw. ob sie notwendiger denn je wären, inwiefern wir angesichts dystopischer Zustände in soziale Kämpfe intervenieren wollen und wie, die Vereinnahmung antiautoritärer Kämpfe durch Autoritäre (am Beispiel der Appelist*innen in der ZAD in Nantes, Frankreich), über die digitale Einhegung und den Widerstand dagegen (am Beispiel des Gefährten Boris in Frankreich und die anhaltenden Kämpfe gegen das sich global ausbreitende digitale Freiluftgefängnis dort), die Geschichte der aufständischen Methode im Anarchismus, Krieg, und das Patriarchat in seiner techno-industriellen Form. [Die Diskussionstexte vom letzten Jahr findest du hier]

Dieses Jahr wollen wir wieder zusammenkommen, um aufeinander zu treffen und ohne Bildschirme zwischen uns in Austausch zu treten. Wir wollen diskutieren. In großen und kleinen Gruppen, mit neuen Gesichtern und alten Bekannten. Mit der Erfahrung vom letzten Jahr, haben wir uns entschieden, die Diskussionen auf drei Thementage mit jeweils zwei Diskussionen pro Tag zu beschränken. (Spontane Diskussionen können natürlich jederzeit wieder gestartet werden).

Die Themen werden die folgenden sein:

  • Internationale Solidarität
  • Extraktivismus
  • Krieg

Das Treffen findet vom 30. Mai bis zum 2. Juni im Hambacher Forst statt. Die Diskussionstage sind Freitag, Samstag, und Sonntag. Anreisetage sind Mittwoch der 29. und Donnerstag der 30. und Abreisetag ist Montag der 3. Juni.

Bringt eure Distros!

Für Verpflegung wird gesorgt. Zelte, Schlafsäcke und Matten müssen mitgebracht werden. Menschen, die nicht im Zelt schlafen wollen, meldet euch bitte, wir werden Alternativen (die auch kein Klettern beinhalten) organisieren, diese werden aber von der Anzahl her begrenzt sein und zuerst an Leute gehen, die diese brauchen, um am Treffen teilhaben zu können.

Um uns zu kontaktieren oder wenn ihr Fragen habt, kontaktiert uns unter:

acat [äd] supernormal.net pgp-key hier

Ein detailliertes Programm, sowie Details zur Anreise und weitere Infos folgen Anfang Mai auf unserem Blog https://acat.noblogs.org/

Willkommen sind alle Anarchistinnen, alle wilden Herzen, freien Geister, Subversive und Rebellinnen, die sich in dieser Einladung wiedererkennen.

Nichtsdestotrotz – und mit der Erfahrung vom letzten Jahr und anderen Treffen – wollen wir dieses Jahr einen kleinen Disclaimer beifügen, wer sich überlegen sollte, ob er*sie wirklich kommen will:

  • Leute, die moderierte Diskussionen, Redner*innenlisten und andere sozialkybernetische Modalitäten erwarten. Ihr könnt euch gerne für Kleingruppendiskussionen so frei assoziieren, aber die meisten Diskussionen werden nicht so geführt werden.

  • Leute, die erwarten, dass es bei einem Diskussionstreffen ein Awareness-Team gibt, weisen wir im Vorhinein darauf hin, dass es keines geben wird.

  • Leute, die Party und Konsum erwarten. Es gibt genug Möglichkeiten dafür, ein Diskussionstreffen und der Wald sind vielleicht einfach nicht der Rahmen.

  • Leute, die im Bezug auf die Kriegsfrage, die Einreihung von Anarchistinnen unter der ein oder andern (proto)-staatlichen Formation befürworten bzw. andere Anarchistinnen (moralisch) dazu drängen wollen für diesen oder jenen Staat Partei zu ergreifen (und zu kämpfen), bitte bleibt dem Treffen fern.

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In Person Activism @slrpnk.net Five @slrpnk.net
Annual Chaotic-Anarchist Gathering #2 May 30 – June 3, 2024 Hambacher Forest North Rhine-Westphalia, Germany

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42 comments
  • Wir wollen die Anarchie. Wir wollen Freiheit und Autonomie für alle ohne Herrschaft und Grenzen.

    Ernsthafte Frage, da ich wenig Ahnung von der Bewegung habe: Wie stellt man in einem herrschaftslosen System sicher, dass die grenzenlose Freiheit der einen nicht die grenzenlose Freiheit der anderen eingeschränkt? Gibt es trotzdem Regeln, an die sich alle halten müssen? Wer entscheidet in Grenzfällen, was regelkonform ist und was nicht und wer setzt die Einhaltung der Regeln durch, wenn es keinen Staat gibt?

    Ich als Nicht-Anarchie-Insider kann mir nur schwer vorstellen, wie Anarchie im großen Maßstab, also beispielsweise für eine ganze Gesellschaft funktionieren soll, wenn die Ansichten und Wertvorstellungen der Individuen so weit auseinandergehen, dass ein Zusammenleben schon mit Regeln schwierig ist.

    • Das habe ich auch nie verstanden. Immer, wenn ich danach fragte, war die Antwort, dass Anarchie nicht Regellosigkeit, sondern Herrschaftslosigkeit bedeute. So weit, so gut, aber wenn ich das richtig verstanden habe, geht es dann weiter um die Syndikation von Produktion und die Bildung von Kollektiven. Da setzt dann für mich der Widerspruch ein, da das doch bereits im Grunde doch wieder kommunale Verwaltung ist.

      Vielleicht hat ja jemand eine gute Erklärung, ich bin nicht anti, ich verstehe es nir nicht.

      • So weit, so gut, aber wenn ich das richtig verstanden habe, geht es dann weiter um die Syndikation von Produktion und die Bildung von Kollektiven. Da setzt dann für mich der Widerspruch ein, da das doch bereits im Grunde doch wieder kommunale Verwaltung ist.

        Ich glaube du sprichst hier den Unterschied zwischen Selbstverwaltung durch bpsw. Kollektive & Syndikate und dem aktuellen Zustand des "verwaltet werden"s an. Aus anarchistischer Perspektive besteht sehr oft der Wunsch, einen Teil der Verantwortung für das eigene Leben, aber auch das Leben der Community, Nachbarschaft oder näheren Umgebung zu über nehmen, aber ohne dabei Bevormundung zu erzeugen.

        • Aber ist Kollektivismus nicht das gleiche nur auf einer anderen Ebene? Geht es vielleicht einfach darum, von kleineren Gruppen dirigiert zu werden? Und wie funktionieren diese dann untereinander? Wie geht man zum Beispiel mit Ressourcenungleichheit um in so einem hoch fragmentierten und so fein granulierten Umfeld?

          • Kollektive und Kollektivismus als Ideologie haben nicht viel miteinander zu tun. Ansonsten geht es ja explizit darum Herrschaft aufzuheben. Natürlich kann das auch schief gehen, wie bei allen anderen Formen der Gesellschaftorganisation kann es eine große Schlucht zwischen Ideal und Umsetzung geben.

            Zu Ressourcenungleichheit: Diese hat ja oftmals strukturelle Gründe, für deren Abschaffung sich Anrchist*innen ja einsetzen. Ansonsten ist gegenseitige Hilfe einer der Grundpfeiler vieler anarchistischer Ideale und würde ja dann gezielt zum Einsatz kommen um eben die Ressourcenungleichheit zu bekämpfen (bspw bei Ernteausfällen halt Essen schicken oder vorubergehend einen Teil der Bevölkerung aufnehmen & versorgen).

          • Das sind größtenteils Fragen die sich erst durch das derzeitige künstlich abgeschottete System ergeben.

            Diese Gruppen sind ja nicht "fragmentiert" sondern überlappen und ergänzen sich gegenseitig.

            Aber naja, die grundsätzliche Antwort im Anarchismus ist aber auch das sich das letzten Endes nur durch Ausprobieren herausfinden lässt. Theoretisch diskutieren wie es denn eventuell sein könnte ist ziemlich sinnlos. Worin sich aber alle Anarchisten einig sind ist das der Weg das Ziel ist, d.h. beim Ausprobieren sollte man nie etwas so behandeln als ob der Zweck allem Mittel heiligt. Solange man sich an diesen Grundsatz hält, ist eigentlich sichergestellt das man bei der Reise nicht wo anders landet als mal sich das erhofft hat.

            Wenn du Interesse an einem aktuellen Beispiel wo etwas nach anarchistischen Grundsätzen ausprobiert wird, dann empfehle ich hiermit anzufangen: https://de.wikipedia.org/wiki/Demokratischer_Konföderalismus

            • Diese Gruppen sind ja nicht "fragmentiert" sondern überlappen und ergänzen sich gegenseitig.

              Meinst du wirklich Gruppen oder die den Gruppen zugehörigen Individiuen? Also ich tu mich da schwer, zu glauben, dass das schon reicht, eine emanzipierte Gesellschaftsordnung zu etablieren. Beispiel: es gibt die Gruppe "Energieproduktion", an der ziemlich sicher alle andereren Gruppen partizipieren wollen. Was genau gewährleistet denn jetzt, dass alle Gruppen sich hier frei und nicht selbstvorteilend benehmen? Und selbst wenn das so klappt, wären wir dann nicht eher beim Sozialismus?

              Aber naja, die grundsätzliche Antwort im Anarchismus ist aber auch das sich das letzten Endes nur durch Ausprobieren herausfinden lässt.

              Also nichts für ungut, aber ein so wertvolles System wie die Demokratie würde ich jetzt nicht einfach so ablegen, um mal was zu probieren, was schon in der Theorie irgendwie hart schwankt.

              Theoretisch diskutieren wie es denn eventuell sein könnte ist ziemlich sinnlos.

              Das finde ich nicht. Ein System, das funktioniert, kann man auch an einem Modell durchspielen. Es ist nur kein Garant, dass es dann auch funktioniert. Aber deswegen den Umkehrschluss zu ziehen, halte ich für fatal.

              Worin sich aber alle Anarchisten einig sind ist das der Weg das Ziel ist, d.h. beim Ausprobieren sollte man nie etwas so behandeln als of der Zweck allem Mittel heiligt.

              Meine Gegenthese hier: Sobald man das macht und es gehen würde, ohne dass es nen Plan gäbe, hätten wir zwei Tage später eine Hegemonie, weil sich sofort und unmittelbar das Recht des Stärkeren durchsetzt - es muss ja nur mal einer dazwischen sein, dem eben der Zweck wichtiger ist als die Mittel (bereits bei einfachen Moralkonzepten fliegen wir da allesamt auf die Nase). Dagegen gibt es in der Demokratie das Prinzip der blinden Justitia.

              Solange man sich an diesen Grundsatz hält, ist eigentlich sichergestellt das man bei der Reise nicht wo anders landet als mal sich das erhofft hat.

              Ja okay, aber wo hat das jemals funktioniert? Da wäre der Sozialismus auch eine tolle Sache. Der wurde übrigens auch lange theoretisch behandelt und dann umgesetzt und trotz den ganzen Verabredungen im Vorfeld hat das ganze bekanntlich alles andere als funktioniert.

              Wenn du Interesse an einem aktuellen Beispiel wo etwas nach anarchistischen Grundsätzen ausprobiert wird, dann empfehle ich hiermit anzufangen: https://de.wikipedia.org/wiki/Demokratischer_Konföderalismus

              Danke für den Hinweis! Ich hab mich mal oberflächlich damit auseinandergesetzt, aber mir scheint der demokratische Konföderalismus überhaupt kein anarchistisches Konzept, sondern eines einer demokratischen Gesellschaft im Postkapitalismus zu sein. Auf jeden Fall spannend, und da ich schon immer gern André Gorz gelesen habe, trifft das einen Nerv bei mir. Ich weiß nur nicht, ob das wirklich ein gutes Beispiel für unseren Gesprächsgegenstand hier ist.

              • Ich glaube du hast eine ganze menge falscher Vorurteile zum Anarchismus. Es ist nicht das was du dir scheinbar unter Sozialismus vorstellst. Einige Anarchisten vertreten ehr sowas wie eine "soziale Markwirtschaft" in wörtlichen Sinne und auch Demokratie wird von vielen nicht grundsätzlich abgelehnt (aber in der derzeitigen Form nicht ganz zu unrecht als die Diktatur der 51% bezeichnet).

                weil sich sofort und unmittelbar das Recht des Stärkeren durchsetzt - es muss ja nur mal einer dazwischen sein, dem eben der Zweck wichtiger ist als die Mittel

                Genau das zu verhindern ist die zentrale These des Anarchismus um das sich der Größteil der gesellschaftstheoretischen Überlegungen dreht. Das jetzt hier auszubreiten würde den Rahmen sprengen, aber ich kann dir versichern das dazu überhaupt kein bisschen Naivität unter Anarchisten herrscht.

                Ja okay, aber wo hat das jemals funktioniert?

                In vielen Gesellschaften über tausende von Jahren. Aber das wird natürlich nicht bei uns in der Schule gelehrt ;) Ein gutes anthropologisches Buch dazu (leider bisher nur auf Englisch) findest du hier: https://en.wikipedia.org/wiki/The_Dawn_of_Everything

                P.S.: Der Demokratische Konföderalismus ist sehr explizit aus anarchistischen Gesellschaftstheorien heraus entwickelt worden.

                • Ich versuche mal das Quoting in der App (da bin ich echt schrecklich drin..).

                  Ich glaube du hast eine ganze menge falscher Vorurteile zum Anarchismus.

                  Das kann natürlich sein, richtig tief bin ich nicht in der Sache, aber ich glaube auch nicht furchtbar weit weg.

                  Es ist nicht das was du dir scheinbar unter Sozialismus vorstellst.

                  Moment, ich hab nicht gesagt, dass Sozialismus und Anarchie das gleiche sind, sondern ich hab dafür ein Beispiel aufgemacht.

                  Einige Anarchisten vertreten ehr sowas wie eine "soziale Markwirtschaft" in wörtlichen Sinne und auch Demokratie wird von vielen nicht grundsätzlich abgelehnt (aber in der derzeitigen Form nicht ganz zu unrecht als die Diktatur der 51% bezeichnet).

                  Ja gut.. aber Demokratie ist eben keine anarchische Grundlage und nach allem was ich jetzt so lese wohl auch eher diametral stehend.

                  Und ja, die Demokratie im Turbokapitalismus ist nicht perfekt und muss auf den Prüfstand. Aber weil ein paar Dielen knarzen, muss man nicht das Haus einreißen, um mich mal dieser abgedroschenen Metapher zu bedienen.

                  Genau das zu verhindern ist die zentrale These des Anarchismus um das sich der Größteil der gesellschaftstheoretischen Überlegungen dreht. Das jetzt hier auszubreiten würde den Rahmen sprengen, aber ich kann dir versichern das dazu überhaupt kein bisschen Naivität unter Anarchisten herrscht.

                  Ja, das ist schade, denn genau das ist ja der springende Punkt. Wenn du hier kein Argument anbringst, dann kommt das jedenfalls bei mir nicht an. Ich lese dann "Anarchie ist toll, weil Anarchie" und das ist schade, weil so will ich dich hier gar nicht lesen und abtun.

                  Also vielleicht bist du so nett und erklärst mir, wie genau das in einem anarchistischen System gesichert fair vonstatten geht.

                  In vielen Gesellschaften über tausende von Jahren. Aber das wird natürlich nicht bei uns in der Schule gelehrt ;)

                  Ja nee, doch, wird es schon. Aber es ist halt schwierig, Hochzivilisationen und indigene Stammesvölker in einen Topf zu werfen. Ich frage mal anders: in welcher der Geschichte bekannten Gesellschaft höherer zivilisatorischer Entwicklung gab es jemals ein System der Anarchie? Ich glaube, das kann man sicher mit "in keiner" beantworten.

                  Davon abgesehen: auch in Stammesvölkern gab es durchaus überwiegend hegemoniale, meritokratische oder eben autokratische Beispiele, ich denke echte Anarchien sind da nur bis zu einem gewissen Grad zu finden. Aber es gibt definitiv welche, mir würden gerade die Nordamerikanischen Ureinwohner einfallen.

                  P.S.: Der Demokratische Konföderalismus ist sehr explizit aus anarchistischen Gesellschaftstheorien heraus entwickelt worden.

                  Hm, also der Begriff ist ja neu für mich, da mache ich keinen Hehl draus, aber die Definition, die ich oben angeführt habe, habe ich der Webseite des Erfinders bzw. seiner Stiftung entnommen. Von Anarchie war da nicht die Rede, aber ich habe ohnehin den Eindruck, dass das, was bei dir Anarchie heißt, bei mir eher im Begriff Autonomie zu finden ist (platter Unterschied: das eine ist eine politische Gesellschaftsform, das andere nicht).

                  • Sorry, aber ich kann hier nicht 150 Jahre anarchistische Gesellschaftstheorie wiedergeben, da muss du dich schon selber einlesen. Aber wie gesagt, eine Gesellschaftsmodel das als ein zentrales Thema hat genau das zu verhindern was du hier so salop als den Knackpunkt bezeichnet ist vermutlich deutlich besser darauf Vorbereitet als andere Gesellschaftsformen die dies nicht tun. Es ist ehrlich gesagt etwas beleidigend das du einfach so davon ausgehst das den Einwand vor dir noch nie jemand anderes hatte 😅

                    Der Demokratische Konföderalismus wurde von Abdullah Öcalan basierend auf Schriften von Murray Bookchin entwickelt. Letzterer hat den Großteil seines Lebens explizit anarchistische Theorien entwickelt und nur gegen ende seines Lebens aus Alterssturrheit sich mit anderen kontemporären Anarchisten überworfen und beschlossen sich nicht mehr selbst als Anarchist zu bezeichnen. Seine Texte werden aber weiterhin dem Anarchismus zugeordnet.

                    Und ja das genannte Buch hat auch gut wissenschaftlich belegte Beispiele für vergangene Hochzivilisationen die nach dem was wir heute als anarchistische Gesellschaftsmodelle bezeichnen würden funktioniert haben.

                    • Ich wollte dich nicht beleidigen. Aber du verstehst schon, wie es auf mich wirkt, oder? Also wenn wir eine Diskussion führen und du da eine tolle Lösung hast, aber nicht erklärst, warum, entsteht nunmal leider so ein Effekt. Wenigstens könntest du auf Aspekte eingehen und darstellen, wie es in anarchistischen Denkweisen funktioniert.

                      Nochmal, ich bin nicht dagegen, noch will ich dich beleidigen. Ich bin hier, um zu lernen und deswegen hinterfrage ich.

                      Kannst du bitte mal so eine anarchistische Hochzivilisation als Beispiel nennen? Ich bin daran wirklich interessiert, ich wüsste keine einzige.

                      • OK ich versuch es mal mit einer Analogie, warum sich das so pauschal wie du das scheinbar gerne hättest nicht beantworten lässt. Dein Einwand ist ungefähr so wie wenn jemand zu einem Marxisten sagt, "ja aber das ist doch schlecht für die Wirtschaft".

                        Der Levant wurde über Jahrhunderte zu Beginn der Staatenbildung von komplexen Gesellschaften dominiert die keine Anzeichen von vertikalen Hirachien hatten, ebenso und etwas weniger langer her große Teile Mittelamerikas. Diese Gesellschaften haben z.B. komplexe Bewässerungssysteme gebaut die einen Organisierungsgrad benötigen welcher sonst nur in so genannten Hochzivilisationen vorliegt. Aber da diese Gesellschaften keine zentralen Herrscher hatten tut sich die moderne Geschichtsschreibung schwer dies zu vermitteln.

    • Es kommt bei sowas auf den Freiheitsbegriff an, der verwendet wird. Es gibt da ja eine Menge an verschiedenen Defintionen, auch im anarchistischen Diskurs.

      Im Grunde lässt sich das aber auf den Satz "Niemand ist frei solange nicht alle frei sind" herunter brechen. Die eigene Freiheit ist zwangläufig mit der Freiheit anderer verbunden.

      Ansonsten sind Regeln oder Absprachen vollkommen konform mit Herrschaftslosigkeit. Wie jetzt Konflikte gelöst werden oder Grenzüberschreitungen, gibt es ebenfalls viele Ansätze. Ich würdr mal einige verlinken:

      Nicht explizit anarchistisch, aber ein Blick in welche Richtung es ehen kann: https://www.opendemocracy.net/en/democraciaabierta/zapatistas-lecciones-de-auto-organización-comunitaria-en/

      Ansonsten kann ich die Anarchist FAQ empfehlen, da wird auf viele Fragen eingegangen.

      • Danke für deine Antwort und die Links. Ich habe die Artikel mal grob durchgelesen aber leider noch nicht so ganz die Antworten gefunden, für meine größten Fragen. Die Seiten beschreiben meist kleine Strukturen wie Nachbarschaften und zeigen Lösungsansätze für bestimmte Konflikte auf. Was aber passieren soll, wenn diese Wege nicht funktionieren, ist nicht beschrieben (bitte korrigieren, falls doch).

        Community accountability

        Hier steht aus meiner Sicht leider GAR nicht, WIE genau der Ansatz funktioniert, sondern nur, was man sich davon verspricht.

        Restorative justice

        Hier ist das Ziel, dass ein Regelbrecher oder Täter anstelle einer Strafe dafür verantwortlich ist, den Schaden wieder gut zu machen und eine Einsicht über das Fehlverhalten zu erzielen. Bei Schulhofprügeleien oder ähnlichen Delikten kann ich mir das ja noch als ersten Schritt vorstellen. Bei Wiederholungstätern wirkt es dann für mich aber eher naiv. Was, wenn jemand immer wieder zuschlägt, stiehlt, vergewaltigt oder gar mordet? Bei schlimmen Verbrechen halte ich kompletten Verzicht auf Gewalt oder Zwang für etwas naiv. Auch wenn man grundsätzlich an das Gute im Menschen glaubt, wird es immer Ausnahmen geben, denen man mit härteren Mitteln begegnen muss.

        Transformative Justice

        Klingt für mich ebenfalls nach einem Konzept bestimmte Angelegenheiten ohne Beteiligung des Staates oder der Polizei innerhalb einer Gemeinschaft intern zu lösen und idealerweise bereits mit Präventionsarbeit zu verhindern.

        Alle drei Modelle haben sicher interessante Aspekte und ich bin überzeugt, dass es für alles auch passende Anwendungsfälle gibt. Ich sehe aber nach vor Probleme bei Skalierbarkeit und Eskalationsstrategien. Was bei einer (zu einem gewissen Grad) homogenen Community funktioniert, lässt sich aus meiner Sicht nicht auf eine heterogene und teils tief gespaltene Gesellschaft übertragen. Und was tun, wenn die Ansätze mal nicht funktionieren?

        Wenn ich "Anarchie für alle" lese, verstehe ich das als Forderung für die gesamte Gesellschaft. Da Staaten abgelehnt werden, nicht nur für die eines Landes, sondern für die gesamte Welt.

        Wenn man die Welt mit all ihrer kulturellen, sozialen und geographischen Diversität einfach ohne Staaten und Exekutivgewalt der Selbstverwaltung überlässt, würde ich nicht "Freiheit für alle", sondern eher "nur der Stärkste überlebt" erwarten.

        • Wenn man die Welt mit all ihrer kulturellen, sozialen und geographischen Diversität einfach ohne Staaten und Exekutivgewalt der Selbstverwaltung überlässt, würde ich nicht “Freiheit für alle”, sondern eher “nur der Stärkste überlebt” erwarten.

          Also das ist etwas blauäugig gegenüber dem jetzigen System, wo genau das international der Fall ist: der Stärkste bestimmt. Daher kann es eigentlich nur besser werden wenn mal andere Ansätze ausprobiert werden.

          Anarchismus ist auch nicht grundsätzlich gewaltfrei, Selbstverteidigung wird z.B. als durchaus legitim betrachtet. Das Problem ist ehr das bei den von dir oben genannten Beispielen unser jetziges System immer zuerst zur Gewalt oder Androhung davon greift (meist in Form der Polizei) und das im Kontrast dazu natürlich bei Alternativen meist über weniger gewalttätige Lösungsansätze nachgedacht wird.

          • Zwischenstaatlich würde ich den Status Quo international auch als Herrschaft der Stärksten ansehen. Da stimme ich dir zu. Aber internationale Konflikte sind ja auch nicht innerhalb eines Staates mit einem System. Aber siehst du das auch innerhalb der ganzen Staaten so?

            Bei Diktaturen kann man das sicher so sehen aber innerhalb Deutschlands zum Beispiel finde ich jetzt die Gesetzgebung nicht fundamental kaputt. Für Ordnungswidrigkeiten oder kleinere Straftaten wird da in der Regel nicht gleich mit Gewalt eingegriffen. Wer falsch parkt, im Klamottenladen einen Pullover klaut oder jemanden beleidigt hat, wird von der Polizei normalerweise nicht verprügelt. Klar, freidrehende Polizisten gibt es, die ihre masochistische/rassistische/menschenverachtende Ader im Beruf ausleben aber ich denke, solche Menschen wird es leider immer geben - auch in einer hypothetischen Anarchie.

            Der Staat gibt ein einheitliches Regelwerk vor, das dann eigentlich für alle gleichermaßen gelten sollte und auch der Strafrahmen (Bußgelder, Sozialstunden, Haft) sollte gleich sein. Von der Theorie finde ich solche zentral beschlossen und universell gültigen Regeln erstmal besser als wenn jeder Hinz und Kunz nach eigenem Ermessen entscheidet was Recht und Unrecht ist.

            Auch gibt es in Deutschland doch auch viele "mildere" Organe neben der Polizei, die Regelverstöße ahnden oder verhindern sollen: Ordnungsamt, Schiedsleute, Schlichtungsstellen, Drogenberatung, Sozialarbeiter, Therapeuten uvm.

            • Jein, auch wenn die Polizei nicht immer gleich losprügelt, steht die Androhung natürlich immer in Raum. Staatliches Gewaltmonopol usw. Wenn man das aufdröselt steht eigentlich immer bei jeder Interaktion mit dem Staat am ende die Androhung von Gewalt und Freiheitsentzug. Gleichzeitig sind die "zentral beschlossenen" Gesetze zum größten Teil entweder Offensichtlichkeiten die auch ohne zentralen Beschluss umgesetzt werden könnten, oder ganz platte Herrschaftsinstrumente um die Reichen oder den Staat selbst zu bevorteilen (und in Deutschland zu einem nicht unerheblichen Teil direkt aus dem Kaiserreich oder der Nazi Diktatur übernommen).

              Aber wie gesagt, das heißt nicht das alles was so im Rahmen des derzeitigen Staats gemacht wird durch und durch schlecht ist oder in einer anarchistischen Gesellschaft nicht auch gemacht würde. Aber im Grunde ist der staatliche Machtapparat mit der immer unterschwellig angedrohten Gewalt genau diese Herrschaft der Stärksten. Anarchisten vergleichen den Staat gerne mit der größten Mafiaorganisation in einer Region... klar übernimmt die Mafia auch gewisse Sozialaufgaben und kümmert sich um die "Familie", aber am ende geht es um Geld und Macht.

              • steht eigentlich immer bei jeder Interaktion mit dem Staat am ende die Androhung von Gewalt und Freiheitsentzug

                Das würde ich unterschreiben. Aber was ist die Alternative dazu? Ich meine, in einem der weiter oben verlinkten Artikel gelesen zu haben, dass als letzte Konsequenz der Ausschluss aus der Gemeinschaft droht.

                Aber was bedeutet das konkret? Wenn es keine Staaten mehr gibt und die ganze Welt eine Anarchie, wo hört die Gemeinschaft dann auf? Wieso sollte man die Problemfälle "woanders" wollen? Was, wenn sich die Problemfälle weigern, zu gehen?

                Ich würde sagen, dass es in der Natur einer Regel liegt, dass sie nur so stark ist, wie die ultimative Konsequenz, wenn man dagegen verstößt. Wenn bei Verstoß gegen Tempolimits nur ein kleines Bußgeld droht, wird das Tempolimit für einen Großteil der Bevölkerung zu einer nett gemeinsamen Empfehlung. So schnell, dass ggf. der Führerschein weg sein könnte oder gar Haft droht, fahren aber wiederum zum Glück die wenigsten.

                Ist die Furcht (vor Strafe) nicht irgendwo ein probates Mittel, Menschen davon abzuhalten, ihren niederen Trieben (Gier, Wut, Verachtung, Ignoranz, Egoismus ...) nachzugeben? Früher hat man dafür oft die Religion instrumentalisiert ("Sünder kommen in die Hölle") aber in einer zunehmend atheistischen Gesellschaft, braucht es meiner Meinung nach schon irgendeine Form von weltlicher Strafe. Selbst wenn präventive Appelle an die Moral vielleicht in den meisten Fällen ausreichen würden, braucht man sie doch zumindest da, wo sie es eben nicht tun.

                ist der staatliche Machtapparat mit der immer unterschwellig angedrohten Gewalt genau diese Herrschaft der Stärksten

                Schon aber ist der "Stärkste" im Fall einer (funktionierenden) Demokratie nicht der mehrheitlich gefundene Konsens? Die Exekutive führt den Willen der Gesellschaft ja nur aus.

                Durch Kapitalismus, Lobbyismus usw. verschiebt sich dieses Kräftegleichgewicht natürlich zugunsten der Reichen. Dies kann und sollte man meines Erachtens zurecht kritisieren aber nur weil der Apfel ein paar faule Stellen hat, muss man ja nicht gleich den ganzen Baum fällen.

                Ich hätte im Anarchismus weniger ein Zukunftsmodell, sondern eher die Urform aller unserer modernen Staatsformen gesehen. Mit der immer weiter (zusammen)wachsenden Menschheit, stieß der Ansatz aber an seine Grenzen und es haben sich neue Wege der Entscheidungsfindung für die Gesellschaft herauskristallisiert. Auch angesichts der komplexen Prozesse und Zusammenhänge heutzutage, würde ich sagen, dass es einem einzelnen Menschen heute gar nicht mehr zuzumuten ist, die Folgen des eigenen Handelns zu überblicken und einfach selbstbestimmt und freiheitlich "das Richtige" zu tun.

                • Auch angesichts der komplexen Prozesse und Zusammenhänge heutzutage, würde ich sagen, dass es einem einzelnen Menschen heute gar nicht mehr zuzumuten ist, die Folgen des eigenen Handelns zu überblicken und einfach selbstbestimmt und freiheitlich “das Richtige” zu tun.

                  Das ist ungefähr so wie die Könige zu früheren Zeiten argumentiert haben, also das der Pöbel zu dumm ist um einen Staat zu lenken. Ähnliche Erklärungsansätze werden gerne auch von modernen technokratischen Diktaturen verwendet.

                  Der Anarchismus sagt: Moment mal, das ist ganz schön entmündigend und stimmt das überhaupt? Ist es nicht vielmehr die Zentralisierung die das nur so (in den Augen der Herrschenden) erscheinen lässt, da kein Einzelner an der Spitze da natürlich den Überblick behalten kann? Ist es nicht vielmehr so das wenn man jedem einzelnen mehr Entscheidungsfreiheit lässt, diese vermutlich besser beurteilen können was für ihn oder sie und deren direkte Umgebung am Besten ist?

                  Deine Erklärungen zur Strafandrohung usw. schießen ebenfalls am Ziel vorbei. Das es keine Schlägertruppen vom lokalen Fürst gibt (=Polizei), heißt ja nicht das jeder machen kann was er will. Am besten per Prävention aber Strafen und Gesellschaftsausschluss können auch anders und demokratischer organisiert werden. Dazu braucht es keinen zentralen Machtapperat mit Gewaltmonopol welches gerne auch mal für andere Zwecke missbraucht wird.

                  • Ist es nicht vielmehr so das wenn man jedem einzelnen mehr Entscheidungsfreiheit lässt, diese vermutlich besser beurteilen können was für ihn oder sie und deren direkte Umgebung am Besten ist?

                    Doch, was für einen selbst am besten ist, weiß man wahrscheinlich schon. Leider ist die beste Lösung für einen selbst aber keineswegs immer die beste für die Gesellschaft. Während einer laufenden Konzerttournee hätten die wenigsten Musiker aus für mehr Kontaktbeschränkungen votiert. Nur wenige, die es sich leisten können, verzichten freiwillig auf Flugreisen oder das eigene Auto. Beim Essen siegen Geschmack und Gewohnheit über Nachhaltigkeit. Preis wird bei den meisten Kaufentscheidungen höher gewichtet als ethische oder nachhaltige Aspekte.

                    In all diesen Fällen siegt im Alltag leider oft der Egoismus über das Gemeinwohl. Bei komplexen Themen braucht es aber gar nicht mal egoistische Motive, um die falsche Entscheidung zu treffen. Angesichts des immer stärker werdenden Populismus mit einfachen Antworten hat da definitiv auch die Demokratie Nachholbedarf. "Jeder wie er will" halte ich aber dafür noch anfälliger. Die Demokratie zwingt uns zumindest zu einem gewissen öffentlichen Diskurs. Bei Anarchie wäre meine Befürchtung, dass die Fraktion "do your own research" mit ihren alternativen Fakten noch mehr Aufwind bekommt.

                    also das der Pöbel zu dumm ist um einen Staat zu lenken

                    Das sehe ich tatsächlich in vielen Themen so und ich würde mich selbst da bei "Pöbel" mit einreihen. Ich würde mich selbst nicht als dumm oder ungebildet ansehen aber es gibt so viele Themengebiete in dieser Welt, da überlasse ich wichtige Entscheidungen lieber einem Expertengremium, die sämtliche Konsequenzen überblicken und die Fürs und Widers gegebenenfalls abwägen können. Auch wenn das Ergebnis für mich nicht immer vorteilhaft und auch nicht immer nachvollziehbar ist, bin ich trotzdem überzeugt, dass für die gesamte Gesellschaft eine passablere Lösung rauskommt, als wenn jeder selbst entscheidet.

                    Aktuelles Beispiel wäre das Balkonkraftwerk. Als Halblaie auf dem Gebiet wären mir natürlich größere Freiheiten und weniger Regulierung lieber. Wenn aber dafür, dass ich 1500 statt 800 Watt anschließen darf, woanders die Häuser (inklusive der unbeteiligten Nachbarschaft) abbrennen, dann lasse ich mich lieber einschränken, auch wenn meine Elektroinstallation die größere Anlage problemlos verkraften könnte.

                    • Also eigentlich alle Umfragen zeigen das die Bevölkerung bei wichtigen Themen weit aus kompromissbereiter und auch "opferbereiter" ist als es Politiker und andere Eliten denken und entsprechend schlechtere Entscheidungen treffen. Das jeder Einzelne nur oder meist egoistisch handelt lässt sich nicht empirisch belegen und ist ehrlich gesagt ein sehr menschenverachtendes Weltbild. Aber klar die derzeitige Elite, die bei allen wichtigen Themen massiv auf der Bremse steht oder sogar noch kontraproduktiv alles schlimmer macht, profitiert davon Leuten einzureden das das alles schon so Sinn macht und die Leute nur zu blöd sind das zu verstehen.

                      Thema Balkonkraftwerk: in einigen anderen EU Ländern sind 1500W schon seit Jahren problemlos erlaubt, und nein da brennen keine Häuser ab (trotz teilweise deutlich schlechteren Elektroinstallationen). Das ist eine unsinnige und von anderen Interessen geleitete Diskussion die genau darauf abzielt Leute mit Halbwissen in die Irre zu führen.

                      • alle Umfragen zeigen das die Bevölkerung bei wichtigen Themen weit aus kompromissbereiter und auch "opferbereiter"

                        Hast du da Links zu?

                        Vielleicht wohne ich in einer schlechten Gegend aber in meinem Alltag (anekdotische Evidenz ;)) begegnen mir leider häufig die immer selben dummen Stammtischparolen bei Themen, die ich als zentral einschätze. Egal ob Klimawandel, Migration oder Sozialpolitik. Die beliebtesten Argumente sind leider oft die, bei denen "die anderen Schuld" sind und man selbst "wie immer schon" weitermachen kann. Klar sind diese Leute von Populismus indoktriniert aber ich denke, dass die Leute eben genau diese einfachen Antworten suchen. Man sucht nicht ergebnisoffen nach einer Lösung für ein Problem, sondern definiert das Problem solange um, bis als optimale Lösung das gewünschte Ergebnis (meist Status Quo) herauskommt.

                        jeder Einzelne nur oder meist egoistisch handelt lässt sich nicht empirisch belegen und ist ehrlich gesagt ein sehr menschenverachtendes Weltbild

                        So weit würde ich nicht gehen, nein. Aber selbst wenn nur einige wenige nur ab und zu rein egoistisch handeln, reicht das doch schon aus, um es für alle anderen zu verderben. Und in dem Punkt sind wir ja uns denke ich auch einig, zum Beispiel...

                        die derzeitige Elite, die bei allen wichtigen Themen massiv auf der Bremse steht oder sogar noch kontraproduktiv alles schlimmer macht

                        Diese Menschen wären ja, wenn morgen die weltweite Anarchie ausgerufen würde, nicht plötzlich weg, sondern würden ja weiterhin versuchen die Gesellschaft zu ihrem eigenen Vorteil zu verdrehen. Und um sowas zu verhindern, bräuchte es aus meiner Sicht eher mehr Regeln als mehr Freiheiten.

        • Du hast so 2 Punkte genannt auf die ich eingehen möchte:

          Wie können große Probleme gelöst werden?

          Ich stelle mir da als Beispiel einen Fluss vor an dem hunderte oder tausende Menschengruppen wohnen, also bspw Städte, Dörfer usw. Da haben alle der Gruppen vielleicht gemeinsame Interessen aber auch gegensätzliche, bspw könnten Interessenskonflikte zwischen Gruppen weiter flussaufwärts und Gruppen die eher am Ende des Flusses liegen. Hier könnten die betroffenen Gruppen eine Förderation gründen um gemeinsam Probleme zu lösen und Absprachen zu treffen. Das klappt sicherlich am besten, wenn alle Beteiligten mit gutem Willen handeln und kann halt teilweise auch sehr langwierig sein. Aber meistens eilt es ja auch nicht.

          Wie soll Anarchie in unserer jetzigen gesellschaftlichen Zusammensetzung klappen?

          Wird es nicht, aber gefühlt behauptet das auch kein*e Anarchist*in. Die aktuellen Herrschaftssysteme wie Staat oder Kapitalismus müssen ja abgeschafft werden und die werden eben nicht "kampflos" gehen. Das heißt eine bedeutende Anzahl an Menschen muss diese Herschaftssysteme erkennen und doll genug ablehnen um sich dagegen zu wehren. Somit ist die Vorraussetzung dafür, dass die aktuellen Herrschaftssysteme beseitigt werden auch gleichzeitig der Nährboden auf dem eine antiautoritäre Gesellschaft entstehen kann.

          Natürlich sind wir da aktuell nicht. Erfolge, historisch und aktuell gesehen, gibt/gab es sowas auch meistens nur regional begrenzt.

          • Interessenskonflikte zwischen Gruppen weiter flussaufwärts und Gruppen die eher am Ende des Flusses liegen

            Das finde ich eine schöne Metapher. Wie schon an anderer Stelle geschrieben, könnte ich mir hier auch sehr gut vorstellen, dass es in so einem begrenzten Anwendungsfall gelingen kann, gemeinsam eine Lösung zu finden, mit der alle Beteiligten glücklich sind (oder wäre es dann nicht eher schon Demokratie statt Anarchie?).

            In einer Anarchie sehe ich allerdings außer Moral und Nettigkeit keinen Grund, wieso die "Flussaufwärts-Gruppe" auf die Wünsche der 9 Nachfolger eingehen müsste. Wenn diese erste Gruppe also beschließt, verschwenderisch mit der Ressource umzugehen und auch nicht auf Reinhaltung des Wassers zu achten, dann fehlt mir das Druckmittel für diejenigen, bei denen dann statt des klaren Nasses nur noch eine schäbige Kloake ankommt. Nicht immer helfen Appelle und Bitten. Wenn diese Gruppen nichts im Austausch anzubieten haben, sind sie der ersten völlig ausgeliefert. Oder sie gebrauchen Gewalt.

            In einer Demokratie hätten alle Beteiligten das gleiche Stimmrecht und auch wenn Gruppe 1 weiterhin egoistisch entscheidet, könnten die 9 anderen diese überstimmen und die Exekutive wäre für die Durchsetzung des Beschlusses verantwortlich. Wenn sie erste Gruppe sich weigert, bei dem demokratischen Beschluss "mitzuspielen", so endet es womöglich in Zwang oder Gewalt, ja. Aber trotz allem finde ich den Sieg des Mehrheit dann besser als meine Vorstellung von Anarchie.

            Oder was sehe ich hier falsch? Wie würde eine ideale Anarchie das Problem mit Gruppe 1 hier lösen?

            • In einer Demokratie hätten alle Beteiligten das gleiche Stimmrecht und auch wenn Gruppe 1 weiterhin egoistisch entscheidet, könnten die 9 anderen diese überstimmen und die Exekutive wäre für die Durchsetzung des Beschlusses verantwortlich. Wenn sie erste Gruppe sich weigert, bei dem demokratischen Beschluss “mitzuspielen”, so endet es womöglich in Zwang oder Gewalt, ja. Aber trotz allem finde ich den Sieg des Mehrheit dann besser als meine Vorstellung von Anarchie.

              Also das würde ich jetzt aber auch unter idealer Demokratie bzw. einfacher gedacht als es in der Realität verbuchen.

              In einer Anarchie sehe ich allerdings außer Moral und Nettigkeit keinen Grund, wieso die “Flussaufwärts-Gruppe” auf die Wünsche der 9 Nachfolger eingehen müsste.

              Genau, es sollte schon freiwillig sein. Und tatsächlich wären ja Themen wie Schiffsverkehr und Hochwasserbekämpfung Themen wo Kooperation ganz direkt der einen Gruppe helfen würde. Aber generell gibt es im Anarchismus die weit verbreitete Ansicht, dass Kooperation für alle Beteiligten insgesamt ein besseres Ergebnis erzielt als Konkurrenz und Egoismus. Dafür war unter anderem dieses Buch hier sehr einflussreich: https://en.m.wikipedia.org/wiki/Mutual_Aid:_A_Factor_of_Evolution

              Generell glaube ich irgendwie, dass so ein Problem für uns in unserer aktuellen Welt als super wahrscheinlich erscheint und in einer Welt, in der Menschen frei von Herrschaft und andauernder Konkurrenz aufwachen sowas als undenkbar gelten würde.

              Aber falls es wirklich so einen Bad Actor geben würde sehe ich(andere könnten das anders sehen) so 2 Perspektiven. Zum ist es sehr wahrscheinlich, dass auf dem Weg zur weltweiten anarchistischen Gesellschaft genau dieses Problem mehrmals aufgetreten ist und Menschen herausgefunden haben was ein guter Umgang damit ist. Zum anderen ist das was wir hier besprechen schon Herrschaft (hier wird das so ein bisschen umstänslich erklärt warum). In einer herrschaftsfeindlichen Welt sollte sowas also stark abgelehnt werden und würde wahrscheinlich mindestens zu starker Isolation der Gruppe führen. Wenn eine Gruppe das Wasser vergiftet, dass andere trinken möchten, dann wäre verschiedene Formen der Selbstverteidigung bis hin zu Gegengewalt sicherlich auch denkbar.

              Das führt mich auch nochmal dazu zu betonen, Anarchismus wird keine gewaltfreie Welt erschaffen, so traurig das auch ist. Aber durch konsequente Bekämpfung von Herrschaft können die Folgen von Gewalt minimiert werden und gleichzeitig haben es die Betroffenen der Gewalt sehr viel leichter sich zu wehren weil eben keine gigantischen Machtstrukturen wie bspw der Staat existieren.

              • Danke für die Links. Beides sind interessante Quellen, die mir helfen, die Idee besser zu verstehen. Auch wenn mir das Konzept Anarchismus nach wie vor sehr fremd erscheint. Von dem, was ich bis jetzt so gelesen habe, setzt man beim Anarchismus sehr stark auf das "Gute". Man geht davon aus, dass Menschen rücksichtsvoll, dialogbereit, offen für Kompromisse, intelligent, rational und einsichtig sind.

                Beispiel aus der FAQ:

                it. If a minority really objects, they can use direct action to put their point across. But anarchists argue that rational debate among equals will not result in too much of that.

                Ich will unserer Spezies diese Attribute auch gar nicht absprechen. Aber ähnlich wie beim Programmieren gehört für mich zu jedem "Idealfall" auch die Frage nach dem "Worst Case". Sich darauf zu verlassen, dass meistens oder gar immer alles gut geht, empfinde ich als naiv und es widerstrebt mir irgendwie, das als potentiell funktionierendes Konzept anzuerkennen.

                Zu Kropotkins Buch steht in der deutschen Wikipedia:

                Die Thesen herkömmlicher sozialdarwinistischer Auffassungen kritisierend, stellt er dem Kampf ums Dasein das Konzept der Gegenseitigen Hilfe gegenüber und sieht beide zusammen als Faktoren der Evolution.

                Im Menschen steckt das "Gute" aber eben auch das "Böse". Zu jedem IF gibt es auch ein ELSE. Menschen sind auch egoistisch, irrational. und manchmal einfach schlecht gelaunte Arschlöcher. Und das beschränkt sich meiner Meinung nach nicht auf einige schwarze Schafe, sondern betrifft uns alle. Den einen mehr, den anderen weniger.

                Eine Welt in der sich alle (nach ein paar Gesprächsrunden) einig sind, finde ich zwar eine schöne Vorstellung aber das steht in so krassem Gegensatz zu meinen bisherigen Erfahrungen, dass ich mir das einfach nicht vorstellen kann. Ich wäre schon heil froh, wenn Debatten in der Realität wenigstens halbwegs so gesittet und konstruktiv ablaufen würden, wie diese hier. Selbst wenn man am Ende nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommt. Aber meiner Erfahrung haben viele Menschen gar keine Lust, sich überhaupt tiefer mit einem Thema zu beschäftigen, sich auf eine Diskussion einzulassen, werden schnell unsachlich oder persönlich.

                Da finde ich es dann irgendwie besser für alle Beteiligten, wenn diese Menschen einen Repräsentanten bestimmten können, dem diese Art der Kommunikation liegt und der ihre Interessen vertritt und dann gemeinsam mit anderen Gesandten einen für alle verbindlichen Kompromiss aushandelt.

    • Ich habe mir das immer mit dem Unterschied zwischen Top-down vs. Bottom-up erklärt. Also eine konsequente Anwendung von Basisdemokratie und Subsidiaritätsprinzip. Zusätzlich ausgeweitet auf alle Bereiche des Lebens: Demokratie nicht nur in der Politik, sondern z.B. auch am Arbeitsplatz.

      • Vielleicht bin ich auf dem Holzweg unterwegs aber beschreibst du da jetzt nicht eher eine Unterform der Demokratie statt Anarchie?

        Subsidiaritätsprinzip heißt ja, dass Probleme bevorzugt auf niedrigerer Ebene gelöst werden sollen, bevor sie an die nächste Instanz weitergereicht werden. Diese höher gelegene Instanz gibt es doch im Anarchismus gerade nicht, oder zumindest habe ich das bislang so verstanden.

        Subsidiaritätsprinzip laut BPB...

        Prinzip, nach dem eine höhere staatliche oder gesellschaftliche Einheit erst dann helfend eingreifen und Funktionen an sich ziehen darf, wenn die Kräfte der untergeordneten Einheit nicht ausreichen, die Funktion wahrzunehmen.

        Wikipedia zu Anarchie...

        Grundsätzlich bedeutet Anarchie die Aufhebung hierarchischer Strukturen

        Und auch wenn ich Basisdemokratie in Kombination mit Anarchismus suche, wird das eher nicht in einen Topf geworfen werden, da ja auch Basisdemokratie eine Form von Herrschaftssystem sei. Zum Beispiel hier... https://anarchistischebibliothek.org/library/jorg-bergstedt-anarchie-oder-basisdemokratie

        • Ich bin selbst kein belesener Anarchist, aber ich würde dennoch sagen, dass die Anarchie eine sehr strikte Form der (Basis-)Demokratie ist. Der Fokus liegt eben auf der Herrschaftsfreiheit.

          Gruppen organisieren sich Basisdemokratisch und probieren wo immer möglich Konsensentscheidungen auszuhandeln.

          Müssen Entscheidungen auf höheren Ebenen getroffen werden, wird es föderalistisch organisiert. Gruppen senden Delegierte, die aber (anders als in „republikanischen“ Repräsentant*innen-Systemen) rechenschaftspflichtig und imperativ-gebunden sind. Sie dürfen also nur im Sinne ihrer Gruppe und des aktuellen Mandates abstimmen, nicht darüberhinaus und können jederzeit abgewählt werden. Es gibt keine Parteien, keine Fraktionen, keine Regierung, keine Opposition. Natürlich können adhoc Koalitionen gebildet werden.

          Ergänzend: Habe gerade in deinen verlinkten Beitrag gelesen. Der Text vertritt augenscheinlich eine sehr reine (utopische?) Lehre. Das von mir beschriebene lässt sich wahrscheinlich eher in einem anarcho-syndikalistischen Umfeld verorten.

          • Das was du beschreibst ist sicherlich etwas, was für einige anarchistische Gruppen gilt, aber bei weitem nicht für alle.

            Viele lehnen (Basis)demokratie ab, ich denke die Menschen aus dem verlinkten Event beispielsweise auch.

          • Von den verschiedenen "Varianten" der Anarchie, die hier erklärt oder verlinkt wurden kann ich mit der, die du beschreibst, am meisten anfangen. Ich würde es aber (als Laie!) ähnlich wie punkisundead so einschätzen, dass du damit schon relativ weit von purer Anarchie entfernt bist.

            Was du beschreibst ist für mich eher relativ "normale" Demokratie. Der föderalistische Gedanke ist ja sogar in der deutschen Demokratie relativ stark verankert. Als kleinste Einheit dann im Prinzip die einzelnen Haushalte ("Familienrat") und von dort ausgehend dann in verschiedenen Dimensionen hierarchisch nach oben. Bei der Legislative dann von Gemeinderat, Stadtrat, Landtag, Bundestag, EU-Parlament. Analog bei der Judikative dann die verschiedenen Gerichte, wo es mit (eingeschränkten Befugnisse) ja sogar bis zu internationalen Institutionen geht.

            Der Hauptunterschied zum aktuellen, deutschen System wäre nach meinem Verständnis, dass es keine gewählten, längerfristige Repräsentanten mehr gibt, sondern Mandate relativ spontan und Von den verschiedenen "Varianten" der Anarchie, die hier erklärt oder verlinkt wurden kann ich mit der, die du beschreibst, am meisten anfangen. Ich würde es aber (als Laie!) ähnlich wie punkisundead so einschätzen, dass du damit schon relativ weit von purer Anarchie entfernt bist.

            Was du beschreibst ist für mich eher relativ "normale" Demokratie. Der föderalistische Gedanke ist ja sogar in der deutschen Demokratie relativ stark verankert. Als kleinste Einheit dann im Prinzip die einzelnen Haushalte ("Familienrat") und von dort ausgehend dann in verschiedenen Dimensionen hierarchisch nach oben. Bei der Legislative dann von Gemeinderat, Stadtrat, Landtag, Bundestag, EU-Parlament. Analog bei der Judikative dann die verschiedenen Gerichte, wo es mit (eingeschränkten Befugnisse) ja sogar bis zu internationalen Gerichten geht.

            Der Hauptunterschied zwischen deinem und dem aktuellen, deutschen System wäre nach meinem Verständnis, dass es keine gewählten, längerfristige Repräsentanten mehr gibt, sondern Mandate nur spontan und immer wieder neu vergeben werden. Das stelle ich mir organisatorisch allerdings sehr herausfordernd vor. Bei der Vielzahl an Entscheidungen, die ständig auf allen Ebenen getroffenen werden müssen und bei denen jede Entität ein Initiativrecht hat, wüsste ich spontan nicht, wie man da systematisch arbeiten soll.

            Wenn jemand in Dorf 15714 ein Anliegen hat, müssen ja erstmal ALLE Menschen an allen anderen Orten darüber informiert werden, um überhaupt festzustellen, wer sich dafür interessiert. Ob man sich für ein Thema interessiert ist dabei ja keineswegs trivial, da man als Außenstehender ja nicht immer alle Auswirkungen der Entscheidung überblicken kann.

            Wenn man dann aus allen lokalen Communities diejenigen identifiziert hat, die sich für eine Abstimmung interessieren und die Verhandler bestimmt hat, müssen all diese Leute erstmal einen gemeinsamen Termin finden, sich kennenlernen, ein wenig Vertrauen aufbauen und sich eben auch thematisch einarbeiten in das Thema, bis dann endlich eine Entscheidung gefällt wird, die dann wiederum an alle kommuniziert und erklärt werden muss.

            Wenn dann drei Tage jemand anderes im anderen Dorf 25822 ein artverwandtes Thema hat, kommen dann wieder ganz andere Leute zusammen, die dann ggf. nach der ganzen Einarbeitung eine widersprüchliche Entscheidung treffen (z.B. bei der ersten Entscheidung wird der Bau eines neuen Binnenhafens beschlossen und bei der zweiten, ein neuer Stausee, wodurch der Hafen nicht mehr erreichbar ist).

            In meiner Vorstellung würde das in einem gigantischen Chaos enden, wo schlecht informierte Leute schlechte Entscheidungen treffen und dafür noch exorbitant viel Zeit benötigen. wieder neu vergeben werden. Das stelle ich mir organisatorisch allerdings sehr große herausfordernd vor. Bei der Vielzahl an Entscheidungen, die ständig auf allen Ebenen getroffenen werden müssen und bei denen jede Entität ein Initiativrecht hat, wüsste ich spontan nicht, wie man da systematisch arbeiten soll.

            Im Gegensatz dazu sind Vollzeitpolitiker, die für einen längeren, aber beschränken Zeitraum gewählt werden, in meiner Vorstellung geradezu hocheffizient (zumindest in der Theorie ;)). Sie treffen regelmäßig zu festen Zeiten an festen Orten zusammen und haben einen festen Zuständigkeitsbereich. Sie können sich auf bestimmte Fachgebiete spezialisieren, kennen die Historie zu bestimmen Anliegen, wissen, was wann und warum vorher einmal entschieden wurde und können mehrere anstehende Entscheidungen bündeln.

            Die Nicht-Politiker sind durch diese festen Strukturen stark entlastet. Sie können sich in der Politik mit den Themen beschäftigen, die sie interessieren, müssen aber nicht ihr ganzes Leben danach ausrichten. Sie können sich einbringen auf verschiedenen Ebenen und regelmäßig die verschiedenen Gremien wählen, können sich aber ansonsten auf ihr eigenes Leben, den eigenen Job, die eigene Familie konzentrieren.

            Das Hauptproblem in unserem aktuellen System ist für mich weniger die Demokratie, sondern eher der ausartende Kapitalismus und in der Folge Korruption und Lobbyismus.

            • Wie gesagt: Ich habe mich nie dezidiert mit Anarchistischer Theorie auseinandergesetzt.

              Ich halte sehr viel von autonomen und selbstverwalteten Initiativen — habe auch schon selbst bei einigen mitgemacht, bspw. Premium Cola oder Utopiastadt hier in Wuppertal. Auch bei uns in der Firma versuchen wir die Hierarchien so flach und Projektteams so klein wie möglich zu halten. Da passiert sehr viel dynamisch und spontan, das hat natürlich mit (Selbst-)Vertrauen zu tun.

              Grundsätzlich glaube ich, dass deine Problem-Schilderungen etwas überzogen sind. An vielen Stellen würde natürlich das Subsidiaritätsprinzip greifen und — auch wenn Repräsentant*innen nur imperativ gewählt sind — sind sie ja dennoch für bestimmte Aufgaben gewählt. Darüberhinaus treffen schlecht informierte Leute auch heutzutage schon schlechte Entscheidungen. Das ist eher ein Problem politischer Bildung und medialer Aufklärung. Viele Menschen wählen auch heute schon entgegen ihren eigenen Interessen. Da bräuchte es einfach mehr Zeit für gesellschaftliches Engagement — deshalb halte ich u.a. die generelle Einführung der 4Tage/32Std. Woche bei vollem Lohnausgleich für sehr wichtig.

              Was Dir anscheinend nicht bewusst ist: Lokalpolitik ist auch heute kein Job, sondern ein Hobby, das mensch sich erstmal leisten können muss. Da sitzen eben auch keine Profis.

              Ich bin aber bei Dir: Ganz ohne Regeln und Verwaltung können Probleme größeren Ausmaßes nicht gelöst werden. Weshalb ich glaube, dass Anarchie immer erstmal nur annäherungsweise funktionieren kann.

              Beim Föderalismus kommt es ja auch auf die Implementierung an: top-down oder bottom-up. Exekutiv-, Parlaments- oder Direktwahl-Föderalismus. Checks and Balances. Da gibt es zig Möglichkeiten den einzelnen Gliedern mehr oder weniger Autonomie/Unabhängigkeit zu geben. Auf Reddit habe ich lange das „europäische Föderalisten“ Sub aktiv moderiert, da gab es zu der Zeit auch viele gute, tiefe Diskussionen zu einer tatsächlichen EU-Föderation.

              Ich würde mir in Deutschland beispielsweise mehr Unabhängigkeit (und finanzielle Mittel) für die Kommunen wünschen.

              Das Hauptproblem in unserem aktuellen System ist für mich weniger die Demokratie, sondern eher der ausartende Kapitalismus und in der Folge Korruption und Lobbyismus.

              Hier stimmen wir zu 100% überein. Der Kapitalismus hat meiner Meinung nach seinen Zenit lange überschritten und es zeigt sich an allen Ecken und Enden, dass Privatisierung und unternehmerische Prozessoptimierung bei sozialen und gesellschaftlichen Problemen fehl am Platz sind. Wenn jahrzehntelange gespart wird, dann muss sich keiner wundern, wenn die Infrastruktur kaputt ist und Fachkräfte fehlen.

    • Wie stellt man in einem herrschaftslosen System sicher, dass die grenzenlose Freiheit der einen nicht die grenzenlose Freiheit der anderen eingeschränkt?

      Die Frage verstehe ich nicht, weil ich raushöre, das du ein System kennst, dass sowas schon macht. Welches System soll das sein? In welchem System würde das denn sicher gestellt werden? Gibt es das System oder ist das auch nur hypothetisch? Kannst du Beispiele nennen die hinterfragt werden dürfen?

      • Da es eine Anarchie im großen Stil bislang nicht gibt, sollten wir aus Fairnessgründen alle Ansätze rein theoretisch vergleichen. Für mich ist "grenzenlose Freiheit für jeden" eine völlig utopische Forderung. Sobald eine gewisse Diversität in einer Gesellschaft existiert, wird es nicht nur vielfältige, sondern auch widersprüchliche Wünsche und Forderungen geben. Realistischer finde die Forderung nach möglichst viel Freiheit für jeden und noch wichtiger möglichst gleich viel Freiheit für jeden.

        Die Demokratie finde ich da auf theoretischer Ebene einen ziemlich guten Ansatz. Jeder startet mit dem gleichen Stimmrecht und es wird gemeinsam entschieden, in welchen Bereichen des Lebens dem Individuum mehr und wo weniger Freiraum gelassen werden sollte. Und die demokratisch legitimierte Exekutive hat die Aufgabe, die Einhaltung dieser Rahmenbedingungen auch dann sicherzustellen, wenn zwischen "Täter" und "Opfer" Kräfteungleichheit herrscht. Also dass Person A ihr Recht auf Freiheit auch dann durchsetzen kann, wenn Person B, die selbiges einschränken will, zwei Köpfe größer und stärker ist.

        In der Praxis hat unsere deutsche Demokratie sicher Schwächen (Korruption, Lobbyismus, rassistische Polizisten...) aber das sind für mich jetzt erstmal a) alles Probleme, die es in jedem System geben kann und b) glaube ich nicht, dass wir schon alle Gegenmaßnahmen ausgeschöpft haben. Es ist also noch Luft nach oben für die Demokratie.

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