Gestern Abend ebenfalls erledigt. Es sei der Kommentar erlaubt, dass es bei dieser Europawahl (zum letzten Mal) keine Sperrklausel (x Prozent-Hürde) gibt. Wenn man also nochmal einer kleineren Partei seine Stimme geben möchte, stehen die Chancen nicht sooo schlecht, dass diese auch ein Mandat bekommen könnte. Die Defakto-Sperrklausel liegt bei circa 0,7% pro Sitz.
In Deutschland kann man noch dafür argumentieren. In der EU nicht, da jede Partei nur in ihrem Land gewählt werden kann und daher das du Parlament immer zersplittert ist. Selbst im Idealfall das jedes Land nur eine Partei schickt besteht es schon aus 28 Parteien.
Wie kann man in Deutschland dafür argumentieren? Ohne single transferrable vote oder ranked choice vote ist das mMn höchst undemokratisch und dient nur den etablierten Parteien.
Das vermeiden von vielen kleinen Parteien die eine Regierungsbildung enorm erschweren ist ein Grund für die Sperrklausel.
Die Niederlande haben fast 6 Monate gebraucht mit 16 Parteien.
Deutschland hat 73 Tage gebraucht mit 9 Parteien bei der Wahl. CSU CDU einzeln gerechnet und ohne bsw etc.
Wäre es besser mit den beiden Systemen die du aufgezählt hast, wahrscheinlich. Das war allerdings nicht der Punkt den ich hatte. Selbst wenn alle Parteien im Bundestag genau 5% haben wären das nur 20, vs die 28 Parteien die ins EU Parlament einziehen wenn jedes Land nur eine Partei schickt.
Ich bin der Meinung, dass eine Sperrklausel nur dann demokratisch ist, wenn man für mehrere Parteien eine Priorität festlegen darf. Eine 5-Prozent-Hürde sorgt massiv dafür, dass die Leute nicht frei, sondern taktisch wählen.
À la "Ich stehe komplett hinter Partei A, wähle aber lieber das kleinste Übel bei den etablierten Parteien, damit die Stimme nicht verloren geht".
Bezüglich Regierungsbildung bezweifele ich, dass die Dauer da primär an der Anzahl der Parteien hängt. Koalitionsbildung um jeden Preis bei teils sehr gegensätzlichen Wahlkampfversprechen und Ideologien ist extrem schwierig. Das hat aber weniger damit zu tun, dass es so viele Parteien sind, sondern, dass die Parteien inhaltlich immer weiter auseinander driften.
Wenn es 10 links-grüne, 10 neoliberale oder 10 rechtsaußen Kleinstparteien gäbe, die gemeinsam eine Mehrheit hätten, wäre das vermutlich einfacher unter einen Hut zu bringen als 2 inhaltlich inkompatible große Parteien.
Gerade das Europaparlament ist da meines Erachtens das beste Beispiel für, wo Volt, Grüne, Piraten, Linke usw. zusammenarbeiten, OBWOHL sie aus diversen Parteien und Ländern kommen.
Statt zu theoretisieren schau einfach mal in die Geschichte quer über alle Länder, und zeige ein Beispiel in dem ein Verhältniswahlsystem ohne 3–5 % Sperrklausel langfristig funktioniert hätte.
Es hat einen Grund, warum fast alle Länder mit einem Verhältniswahlsystem eine Sperrklausel haben.
In deinem verlinken Artikel sind doch gleich mehrere Beispiele aufgeführt.
Es gibt mehrere Länder ohne Sperrklauseln, z. B. Südafrika, Portugal, Finnland und Nordmazedonien. Sie haben Verhältniswahlsysteme ohne eine gesetzliche Sperrklausel (in den letzten drei Ländern allerdings durch getrennte Wahlbezirke eine höhere faktische Sperrklausel).
Darüber hinaus nennt der Artikel im wesentlichen dieselben Vor- und Nachteile von Sperrklauseln, die hier bereits diskutiert werden.
Eine Regierung ist meist ein Zusammenschluss mehrerer Parteien. Eine Partei ist meist ein Zusammenschluss verschiedener Landesgruppen, die wiederum aus Ortsverbänden, die wiederum aus einzelnen Mitgliedern bestehen. Das heißt noch lange nicht, dass alle Ortsverbände oder gar alle Ortsverbände innerhalb z.B. der SPD die exakt gleiche Meinung vertreten. Trotzdem schaffen es diese unzähligen Menschen und Gruppen, einen Kompromiss zu finden, der die alle eint und motiviert Mitglied dieser Partei zu sein.
Mehrere Kleinstparteien in einem Parlament sind für mich da erstmal nichts fundamental anderes. Viele in Kleingruppen organisierte Individuen müssen sich zusammenfügen und einen Kompromiss finden. Und ich bin felsenfest überzeugt, dass dies besser und schneller gelingt zwischen Volt, Linke und Piraten als zwischen CDU und Grüne, die inhaltlich kaum Überschneidungen haben.
Es gibt mehrere Länder ohne Sperrklauseln, z. B. Südafrika, Portugal, Finnland und Nordmazedonien. Sie haben Verhältniswahlsysteme ohne eine gesetzliche Sperrklausel (in den letzten drei Ländern allerdings durch getrennte Wahlbezirke eine höhere faktische Sperrklausel).
Hervorhebung durch mich.
Damit bleibt Südafrika in diesem Artikel als einziges Land ohne tatsächliche Sperrklausel übrig, wobei Südafrika noch nie ein Wahlergebnis mit dem ANC unter 50 % hatte. Wenn diese faktische Einparteienregierung fällt, werden sie auch irgendwann eine einführen.
Das Problem mit Kleinparteien ist, dass sie oft durch Abspaltung aus anderen Parteien entstehen, eben weil die Gründer nicht mehr in der Lage sind, mit ihren ehemaligen Parteigenossen Kompromisse zu finden. Oder sie sind von vorneherein in Opposition zu den Parteien, mit denen sie dann Koalitionen und Kompromisse finden sollen, gegründet worden.
Das nächste Problem der Parlamentszersplitterung ist, dass die Findung von Koalitionen und Kompromissen neben inhaltlicher Arbeit immer auch eine Machtfrage ist. Die größte Macht hat dabei die Königsmacherin, d.h. die 2 % Partei, die die Koalition von 49 auf 51 % bringt. Je mehr Parteien diesen Status haben, desto instabiler wird die Koalition.
Das Fraktionssystem der Schweiz oder des Europaparlaments ist eine faktische post hoc Sperrklausel – man kommt zwar ohne Sperrklausel ins Parlament, darf aber nur parlamentarisch arbeiten, wenn man entweder eine Mindestanzahl erreicht hat oder sich einer Fraktion anschließt. Finde ich tatsächlich besser als explizite oder faktische Sperrklauseln.
Muss man aber auch dazu sagen, dass die Parteien im Europaparlament sich ja zu blöcken zuordenen und auch keine Regierung bilden müssen wie aus dem Bundestag. Wenn ichs richtig verstanden habe zumindest...
Das. Und ich sehe es halt auch einfach nicht ein, Parteien, die mir nicht zusagen, zu wählen, nur weil die am ehesten über die Sperrklausel kommen. Außerdem gäbe es heute auch weder Grüne noch die Nazis von der AfD, wenn jeder nur Parteien wählen würde, die schon im Parlament sitzen.