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Politisches Chaos in Thailand: Wahlsieger Pita ausgebootet

www.sueddeutsche.de Politisches Chaos in Thailand: Wahlsieger Pita ausgebootet

Für Thailands Wahlsieger Pita Limjaroenrat gibt es nach einem Tag voller überraschender Wendungen im Parlament keine Chance mehr, der nächste Ministerpräsident...

Politisches Chaos in Thailand: Wahlsieger Pita ausgebootet

Ich finde es interessant zu sehen, wie eine demokratisch gewählte Instanz an einer Monarchie und vom Militär geschaffenen Struktur abprallen kann. Es kommt derzeit zu großen Demonstrationen im Land, und es wird spannend zu sehen, ob sich die Demokratie oder das Militär durchsetzt.

Artikeltext:

Bangkok (dpa) - Für Thailands Wahlsieger Pita Limjaroenrat gibt es nach einem Tag voller überraschender Wendungen im Parlament keine Chance mehr, der nächste Ministerpräsident zu werden. Eigentlich hätte sich der 42-Jährige am Mittwoch in beiden Kammern einem zweiten Votum stellen sollen, nachdem er in der ersten Runde vergangene Woche gescheitert war.

Aber zu der Abstimmung kam es nicht mehr, nachdem mehrere Senatoren Beschwerde gegen seine Kandidatur eingelegt hatten und Pita kurz darauf auch noch vom Verfassungsgericht als Parlamentarier suspendiert wurde.

Pita: "Reicht nicht, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen"

Lautstarke Proteste vor dem Parlamentsgebäude ließen nicht lange auf sich warten. Polizisten in Kampfmontur wurden abbestellt, um die Menschenmenge unter Kontrolle zu bringen. Immer mehr Demonstranten zogen später zum Demokratie-Denkmal in Bangkok - ein symbolischer Ort, berühmt seit vielen Jahren für Massenproteste. Aufgebrachte Thais sprachen von "politischer Sabotage".

Denn viele der 52 Millionen Wahlberechtigten fragen sich, wofür sie überhaupt an die Urnen gegangen sind. Thailand verleiht sich gern den Anschein einer Demokratie. Aber wenn es daran geht, das politische Establishment ins Wanken zu bringen, haben jüngere Hoffnungsträger kaum eine Chance. Dem Harvard-Absolventen Pita wurden seit seinem Wahlsieg so viele Steine in den Weg gelegt, dass er am Ende nur noch stolpern konnte. "Es ist klar, dass es im gegenwärtigen System nicht ausreicht, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen, um dieses Land zu regieren", schrieb er resigniert auf Instagram.

Konservativer Senat sagt "Nein"

Worum geht es? Pitas progressive Move Forward Party hatte bei der Parlamentswahl im Mai die meisten Stimmen geholt und verfügt über 151 Sitze im 500-köpfigen Abgeordnetenhaus. Das seit einem Militärputsch 2014 regierende Militär erlitt eine herbe Schlappe. Pita war es in der Folgezeit gelungen, eine Koalition aus acht Parteien zu bilden, wodurch er eine stabile Mehrheit in der Abgeordnetenkammer hat. Dennoch wird er nicht Regierungschef.

Grund ist eine Klausel in der Verfassung, die das Militär nach dem Putsch zu seinen eigenen Gunsten erlassen hatte: Über den Ministerpräsidenten stimmen seither neben 500 gewählten Abgeordneten auch 250 von der Armee ernannte Senatoren ab. Diese gelten als konservativ. Nur die wenigsten unterstützen progressive Kräfte.

Am Mittwoch hatten mehrere Senatoren gefordert, Pita ein zweites Votum gänzlich zu verweigern, obwohl er von seiner Koalition erneut als Spitzenkandidat aufgestellt worden war. Sie argumentierten, ein Kandidat dürfe sich im Parlament nur einmal zur Wahl stellen, wofür es politischen Experten zufolge aber keine Grundlage gibt. Dennoch kamen sie bei einer Abstimmung mit ihrem Anliegen durch. Im Klartext: Dies ist das "Aus" für Pita.

Knackpunkt war das Vorhaben seiner Move Forward Party, das kontroverse Lèse-Majesté-Gesetz zu ändern. Thailand bestraft Majestätsbeleidigung so hart wie kaum ein anderes Land. In der Bevölkerung gibt es dagegen schon länger Proteste. Bislang galt der Artikel 112 aber als unantastbar. Die Reformpläne, an denen Pita unbedingt festhalten wollte, hätten seine Kandidatur von Anfang an aussichtslos gemacht, sagen politische Beobachter.

Pita als Abgeordneter suspendiert

Auch suspendierte das Verfassungsgericht in Bangkok Pita vorläufig als Parlamentsabgeordneter. Das Gericht gab damit einem Antrag der Wahlkommission statt, wie aus einer Mitteilung hervorging. Die Entscheidung wurde bekannt, während das Parlament gerade über die umstrittene zweite Abstimmung debattierte. Pita verließ daraufhin unter dem Applaus seiner Parteikollegen das Parlamentsgebäude.

Hintergrund sind Ermittlungen über angebliche Aktienanteile an einem Medienunternehmen, die der 42-Jährige während seiner Kandidatur besessen haben soll. Das ist in Thailand verboten. Pita betonte, nur die Anteile aus dem Nachlass seines Vaters verwaltet zu haben. Zudem sei das betreffende Unternehmen schon lange geschlossen. Er hat nun zwei Wochen Zeit, sich gegen die Vorwürfe zu verteidigen.

Zukunft völlig unklar

Völlig überraschend kommen die Wirren nicht: Schon seit Monaten war von einer Schicksalswahl in dem beliebten Urlaubsland die Rede - mit vielen möglichen Szenarien. Proteste und Chaos sind Thailand nicht fremd. Ebenso wenig wie Militärcoups: Von denen gab es seit den 1930er Jahren mehr als ein Dutzend.

Für Donnerstag war eine dritte Abstimmung geplant, falls die zweite keinen Regierungschef hervorbringen sollte. Momentan ist die Situation aber völlig unklar. Möglich ist, dass nun Pitas wichtigster Koalitionspartner, die Partei Pheu Thai, einen Kandidaten aufstellt. Sie wurde bei der Parlamentswahl zweitstärkste Kraft. Jedoch sind neue Gespräche nötig, denn eventuell dreht sich auch das Koalitions-Karussell noch einmal. Und so wartet Thailand weiter auf seinen nächsten Regierungschef.

Zweiter Artikel zur gleichen Sache: https://www.sueddeutsche.de/politik/thailand-wahl-premierminister-limjaroenrat-verfassungsgericht-1.6044221

Wahlsieger vom Verfassungsgericht aufgehalten

In Bangkok sollte es heute zur zweiten Abstimmung über einen neuen Premierminister kommen. Doch Militär und Establishment haben verhindert, dass Wahlsieger Pita Limjaroenrat an die Macht kommt.

Am Morgen des zweiten Wahlgangs war nicht einmal sicher, ob Pita Limjaroenrat, 42, der bislang einzige Kandidat für die Wahl des Premierministers, erneut kandidieren darf. Am Mittag war dann klar, dass die Demokratiebewegung in Thailand einen Rückschlag erleben würde. Demonstranten bewegten sich auf das Parlament zu, in dem ihr Hoffnungsträger seine Niederlage eingestand. Nicht, weil er keine Mehrheit zustande bekommen hatte, sondern "weil ich eine Aufforderung des Verfassungsgerichts erhalten habe, nicht anzutreten", wie Pita von einem Zettel ablas. "Ich akzeptiere die Entscheidung und werde mich daran halten, bis ein Urteil gefällt wurde."

Dabei hatte der Tag noch damit begonnen, dass Chonlanan Srikaew, Vorsitzender des größten Move-Forward-Partners, der, "Pheu Thai"-Partei, umlagert von Reportern erklärte, dass die Koalition aus acht Parteien, die er gemeinsam mit Pita geformt hat, diesen auch an diesem Mittwoch wieder nominieren wolle. Um 9:43 Uhr Ortszeit startete also die Sitzung des Repräsentantenhauses genau damit. Es folgte eine Debatte darüber, ob das überhaupt rechtmäßig ist. Es gibt viele mächtige Menschen, die um ihre Macht oder Monopole fürchten

Bei der ersten Wahl hatte Pita nur 324 der erforderlichen 375 Stimmen bekommen. Das Hauptargument, nicht für Move Forward zu stimmen, war in teilweise stark überhitzten Wortbeiträgen der Artikel 112 des thailändischen Strafgesetzbuches gewesen, den die Move Forward überarbeiten will. Die sogenannte Lèse-majesté, die Beleidigungen der Monarchie verbietet. Das Anti-Establishment-Reformprogramm von Move Forward geht allerdings weit darüber hinaus und nimmt Geschäftsmonopole und Institutionen ins Visier, die in Thailand lange als unantastbar galten.

Zahlreiche Abgeordnete waren in der vergangenen Woche hart dafür angegangen worden, vor allem in den sozialen Netzwerken, dass sie die Regierungsbildung verhindert hatten. Sie hätten die 250 Senatorinnen und Senatoren überstimmen müssen, die von der klar abgewählten Militärregierung eingesetzt worden waren, um sich die Macht dauerhaft zu sichern. Pita hatte am Morgen auf Facebook noch eine Botschaft hinterlassen, in der er diese Senatoren bat, "den Willen des Volkes zu respektieren".

Der Senat setzt sich größtenteils aus Vertretern des alten Establishments, Königstreuen und Militärs zusammen. Eine prominente Senatorin ist Pornthip Rojanasunand, 68, eine Forensikerin, die in Thailand für ihre Ermittlungsarbeit ebenso berühmt ist wie für ihre Frisuren. An ihrem Beispiel lässt sich gut aufzeigen, was sich derzeit in der thailändischen Bevölkerung abspielt. Pornthips Tochter, die Move Forward unterstützt, hatte nach der verunglückten Wahl am vergangenen Mittwoch auf Instagram gepostet: "Sprecht mich bitte nicht auf die Politik an. Ich schäme mich dafür." Pornthip hatte daraufhin öffentlich gesagt, sie finde, dass Senatoren generell nicht das Recht haben sollten, für einen Premierminister zu stimmen. Die Senatorin wollte am Mittwoch also für niemanden stimmen. Das Problem: nicht wählen, ist auch eine Wahl. Nämlich gegen Pita. Doch dazu sollte es nicht mehr kommen. "Ich habe das Gefühl, dass es in der Gesellschaft Fortschritte gibt"

Move Forward hatte im Mai 151 von 500 Sitzen im Repräsentantenhaus errungen, Pheu Thai 141 Sitze. Mehr als 66 Prozent der Thailänder haben die beiden Parteien gewählt, bei einer Rekordwahlbeteiligung von über 80 Prozent. Die kam allerdings auch zustande, weil in Thailand quasi Wahlpflicht herrscht. Doch dadurch, dass das Ergebnis so eindeutig ausfiel, wurde die Wahl zu einem Kampf von Alt gegen Neu, von Vergangenheit gegen Zukunft. "Die Menschen verlangen etwas Neues, Frisches, im Gegensatz zu den Härten, die sie in den vergangenen zehn Jahren erdulden mussten" hatte Pita noch am Vorabend des zweiten Wahlgangs gesagt.

Knapp zehn Jahre blieb die Militärregierung nach einem Coup im Jahr 2014 an der Macht. Das Militär putscht in Thailand häufig - in der Vergangenheit allein drei Mal gegen eine Pheu-Thai-Regierung. Und es ist königstreu. Das Militär schützt aber auch die Interessen der konservativen Unternehmer im Land. Es ging am Mittwoch also auch darum, ob sich etwas bewegen lässt, ob einzelne Senatoren und Abgeordnete sich umstimmen lassen, und sei es nur von den eigenen Kindern.

Doch dann griff das ebenfalls konservative Verfassungsgericht ein, das Pita noch während der laufenden Debatte als Abgeordneten suspendierte. Die Wahlkommission hatte wegen einer Firmenbeteiligung Pitas einen entsprechenden Antrag gestellt. Das Gericht will zudem ein separates Verfahren gegen die Move Forward aufnehmen, wegen der Absichten der Partei in Bezug auf Artikel 112. Die Partei könnte also auf Basis der Lèse-majesté, die sie reformieren will, nachträglich aus dem Rennen genommen werden. Im Augenblick sieht es für die Zukunft Thailands nicht gut aus.

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