Das Rad bleibt heute stehen, ich fahre mit dem Auto. Einen echten Grund habe ich nicht, Faulheit eben. Dabei muss ich an eine Anekdote aus dem Geschichtsunterricht denken, von Bauern im Mittelalter, die im Winter das Saatgut für die nächste Aussaat aßen, und dann gab es natürlich keine Ernte mehr, und dann verhungerten sie. Das sollte sicher eine Metapher sein, seid heute emsig und genügsam, dann wird’s morgen besser.
Aber die war an meine Schulklasse, und besonders an mich, verloren.
Auf dem Weg zur Arbeit halte ich noch kurz beim Supermarkt. Auf dem Parkplatz schieben fette Wänste Einkäufe in fette Autos, der Konsum von heute das Problem der Ärzte und Krankenpfleger von morgen, und ich dann dazwischen, mit einem Einkaufskorb voller als Lebensmittel getarnter Industrieabfälle, und die Hafermilch, ein Liter Ablassbrief. Ein fettnackiger Typ bleibt im riesigen Ford, während seine Frau einkauft, und weil es heute etwas wärmer ist, läuft der Motor die ganze Zeit, sicher für die Klimaanlage. Ich werfe noch einen traurigen Blick auf das riesige Auto und seine Fahrer, ein groteskes Mahnmal an den Überfluss und die Völlerei, zwei Tonnen Mensch und Stahl und Plastik, jede Meile ein Mittelfinger an die Nachwelt.
Auf der Arbeit ist nicht viel los, aber dennoch schaffe ich es, einen unliebsamen Termin auf morgen zu schieben, ohne eine gute Ausrede zu haben, außer “fühl ich heut nicht so”, bin von mir selbst genervt, aber ändere nichts daran. Ein Tick und ein Tock und der Arbeitstag ist vorbei, gelernt hab ich nichts, geschafft auch nichts, geschaffen erst recht nicht.
Dann sitze ich auch schon wieder im Auto und hasse mich dafür, nicht die Ausfahrt zum Fitnessstudio genommen zu haben, der Sportrucksack auf dem Beinfahrersitz erinnert an mein Versagen, und stehe an einer roten Ampel, zweite Ampelphase schon. Vor mir Autos, und hinter mir, und links und rechts neben mir, müssten die denn alle hier sein? Vermutlich nicht, aber ich ja auch nicht.
Dann komme ich nach Hause, das Piano ignoriere ich, anstatt zu kochen werfe ich eine Pizza in den Ofen, mit Salami, das wollte ich ja eigentlich auch lassen, und anstatt noch was zu lernen setze ich mich an den Computer, auch intellektuell gibt es heute nur Fast Food.
Irgendwann liege ich dann im Bett, dann rasen die Gedanken, der Puls geht hoch, die Panik setzt ein. Die Welt zieht weiter, aber ich stagniere, und so viele Menschen um mich herum auch, fressen das Saatgut mit ganz großen Löffeln, was mit uns passiert, scheiß drauf, und wer nach uns kommt, sowieso.
Wieder nichts geschafft, wieder ein bisschen dümmer und schwächer und älter, wieder ein Stückchen Morgen für das Heute geopfert, und dabei nichtmal Spaß gehabt. Aber morgen mach ich’s besser. Diesmal bestimmt.
Das impliziert, dass es normal wäre 40h die Woche zu arbeiten und dann noch Bock auf Sport, kochen und intelekktuelle Stimulation zu haben. Zeig mir eine Person die so lebt und ich zeig die einen Lügner.
Ich bin natürlich geborener Ferndiagnostiker mit Lizenz. Nein, Quatsch, aber OP beschreibt seine Umgebung als niederschlagend und sich selber als antriebslos und sein Leben insgesamt als Ziel- und Sinnlos. Und das auf Dauer. Insofern liegt die Diagnose Depression nahe.