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„Jetzt muss ich vielleicht aus Deutschland fliehen“: Das sagen die Menschen, die die AfD vertreiben will

archive.is /cdomr

Rechtsextreme haben einen „Masterplan“ ersonnen, um Menschen aus Deutschland zu vertreiben. Hier kommen die zu Wort, die davon bedroht würden: Studenten, Anwälte, Ärzte – Deutsche.

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Dieses Unsicherheitsgefühl ging eigentlich nie weg, und ist gerade jetzt wieder verstärkt da. Das werden ganz viele Menschen mit Einwanderungsgeschichte bestätigen. Keiner ist überrascht. Hinzu kommt ein Gefühl, das ein kleines bisschen Hoffnung macht: Endlich wissen es jetzt alle, endlich ist es raus.

Bedrohung für mich als Jesidin kam immer von rechtsextremer Seite in Deutschland, aber auch von islamistischer Seite. Heute veröffentliche ich auch Morddrohungen von den „Grauen Wölfen“, die ich bekomme. Meine heile Welt wurde von allen Seiten bedroht. Ich habe das Gefühl, dass wir uns in Nebenschauplatz-Debatten verloren und vergessen haben, dass Demokratiezersetzer direkt unter uns sind. Daran, dass die AfD im Bundestag sitzt, werde ich mich nicht gewöhnen – und nie gewöhnen wollen.

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Ich habe nie mit Gedanken gespielt, Deutschland zu verlassen. Das mag jetzt patriotisch klingen, aber lieber will ich hier sterben. Das ist meine Heimat, meine Erde, die gehört allen. Ich würde nie freiwillig gehen, was auch immer das kostet. Ich kenne welche, die auf gepackten Koffern sitzen. Nein, ich sitze nicht auf gepackten Koffern. Wo soll der Koffer auch hin, außer nach Deutschland?

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Die Pläne der AfD sind für mich nicht überraschend, diese Tendenzen sind nicht neu. Aber die Deutlichkeit hat mich schockiert. Da wird in einem offiziellen Rahmen ganz offen darüber gesprochen, Menschen in irgendein Gebiet in Afrika zu deportieren. Jetzt ist der Aufschrei in Medien und Politik groß, aber was passiert danach? Mir fehlt die laute Stimme aus der Politik, mir fehlen Taten. Bundeskanzler Olaf Scholz sagt jetzt zwar: „Wir schützen alle“. Vor wenigen Wochen sagte er in einer großen Schlagzeile aber auch: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“.

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Viele Betroffene bemühen sich zwar, dass die Mehrheitsgesellschaft ihr Schweigen bricht und sich an die Seite derjenigen Menschen stellt, die vertrieben werden sollen. Aber sie machen sich auch immer stärker Gedanken darüber, wohin sie auswandern sollen, falls sich die Entwicklungen fortsetzen. Was gerade geschieht, macht Angst um das schiere Leben und Überleben in diesem Land und ist auch für mich neu und beunruhigend.

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Ich bin Radiologieassistent (MTRA), Altenpfleger, Arzt. Wirtschaftlich habe ich meine angebliche „Bringschuld“ erfüllt. Aber schnell kam die Ernüchterung: Das reicht nicht. Ich habe es satt, Sprüche zu hören wie: „Du musst dich noch mehr integrieren.“ „Du musst dich noch mehr von deiner Herkunft distanzieren“. Ich habe es satt zu zeigen, dass ich kein Terrorist bin, kein Islamist, kein „Sozialschmarotzer“. Zu beweisen, dass ich dazugehöre. Jetzt hat das für mich einen Punkt erreicht, wo ich sage: Deutschland fühlt sich nicht mehr an wie mein Zuhause.

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Die letzten sechs Monate hat sich mein Sicherheitsgefühl krass verschlechtert. Ich werde angepöbelt. Diese Dinge passieren in aller Öffentlichkeit und: Niemand. Sagt. Etwas. Niemand. Tut. Etwas. Das ist wirklich eine Mentalität, die ich den Deutschen zuschreibe. Dieses „Ich halte mich raus, weil es mich nicht explizit betrifft“. Danach kommen Leute und sagen, dass es ihnen leidtut. Das hilft mir nicht. Das macht mir Angst, dass Leute zuschauen. Nichts sagen ist Duldung.

Ich vermeide es als Frau sowieso schon, abends alleine hinauszugehen. Als Schwarze Frau erst recht, ich kann Leuten nicht an der Nasenspitze ansehen, ob sie rechtsextrem sind. Meine Lebensqualität ist dadurch gestört, dass ich die ganze Zeit darüber nachdenke. In gefährlichen Situationen filme ich mittlerweile, um mich zu schützen. Damit mir jemand glaubt, falls es nötig ist.

Ich möchte nicht weg aus Deutschland. Ich bin Deutsche. Wenn ich Deutschland verlasse, verlasse ich mein Heimatland.

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Meine Eltern flüchteten 1997 aus dem Iran nach Deutschland, weil mein Vater zum Christentum konvertiert war. Er schmuggelte Bibeln ins Land und wurde dafür vom iranischen Regime verfolgt. Meine Mutter und mein Vater wollten ihren Kindern ein Leben in Freiheit und Demokratie ermöglichen. Und jetzt stehe ich vor derselben Entscheidung, weil unsere Freiheit in diesem Land bedroht ist.

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Ich kenne ja die Forderungen, dass man ausgewiesen werden soll, wenn man straffällig geworden ist, aber dass solche Leute so weit gehen würden, damit habe ich nicht gerechnet. Das Ganze ist eine Unverschämtheit, für solche Forderungen und Gedanken gibt es eigentlich keine Worte. Solche Forderungen werden ja von rechtsextremen Parteien von A bis Z übernommen.

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Aufgewachsen bin ich im Düsseldorfer Stadtrand. Mit Rassismus war ich zum ersten Mal konfrontiert, als wir nach Schleswig-Holstein zogen. Dort war ich plötzlich die Ausländerin. Das erste Mal Angst hatte ich nach den Anschlägen in Solingen und Mölln Anfang der 90er Jahre. Ich war damals noch eine Teenagerin. Neonazis waren zwar bereits ein bekanntes Problem, aber die Anschläge zeigten ein neues Eskalationslevel.

Aber: Die Gesellschaft reagierte damals. Es gab Lichterketten und große Soli-Konzerte. Im Radio liefen Songs, die sich gegen Faschismus aussprachen. Ich habe den Eindruck, dass sich das heute geändert hat.

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Wir müssten jetzt als deutsche Gesellschaft nur ein einziges politisches Ziel kennen: Die Demokratie vor ihrer Abschaffung durch die Befürworter einer völkischen Reinheit zu schützen. Aber ich lerne nun, dass ich das so nicht mehr formulieren darf. Kein „Wir“ mehr. Denn ich bin ja kein richtiger Deutscher.

Auswandern will ich nicht. Ich habe meine verstorbenen Eltern in deutscher Erde begraben. Weil ich dieses Land für meine Heimat gehalten habe. Sie sind zu einem Teil Deutschlands geworden. Ich brauche Verbündete. Für das Recht, die Freiheit und die Demokratie in diesem Land.

Ich habe allerdings zunehmend das Gefühl, dass man sich auf jene, die berufen sind, sich in ihren Ämtern und Funktionen um diese Demokratie zu kümmern, immer weniger verlassen kann – wenn man nicht deutsch genug ist.

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