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Eine absurde Überspitzung

zeitung.faz.net Eine absurde Überspitzung

Der vernebelnde Vorwurf der Apartheid wird als Glaubenssatz gegen Israel eingesetzt. Mit ihm möchte man den Terror der Hamas als antikolonialen Widerstand legitimieren.

Eine absurde Überspitzung

Man kann es nicht oft genug betonen: "Die jüngsten Ereignisse zeigen klar, dass kein jüdischer Israeli vor dem Todeskult des Dschihadismus sicher ist."

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  • Den Artikel könnte man hervorragend als Fallbeispiel für Framing nutzen.

    Die Besatzung des Westjordanlands und des Gazastreifens war die Folge israelisch-arabischer Kriege, die für Israel ex­istenzielle Bedrohungen darstellten. Das Hauptinteresse Israels ist Sicherheit, und für die politische Rechte zudem die territoriale Expansion in das Westjordanland. Die palästinensische Bevölkerung wird als Sicherheitsrisiko und Störfaktor für den jüdischen Charakter des Landes gesehen, nicht als Gegenstand von Ausbeutung auf Basis von „Rassentrennung“.

    Die Vertreibung der Juden ist eine existenzielle Bedrohung, die Vertreibung der Palästinenser erfolgt weil sie ein "Störfaktor für den jüdischen Charakter des Landes" sind. Ja Moin.

    Im Westjordanland existiert die palästinensische Autonomiebehörde, die als Schritt auf dem Weg zur Unabhängigkeit vorgesehen war. Das Scheitern dieses Prozesses hat zum derzeitigen Cha­rakter der Besatzung geführt.

    Wer glaubt, dass Oslo II tatsächlich die Grundlage für eine schrittweise Unabhängigkeit, die den Namen auch verdient, war, hat doch den Verstand verloren. Das war eine Kapitulationserklärkung der PLO, und selbst das war den rechtsnationalen israelischen Kräften nicht genug.

    Der Vorwurf der Apartheid in den völkerrechtlichen Grenzen Israels ist eine absurde Überspitzung. Der Politikwissenschaftler Samy Smooha stuft Israel als „ethnische Demokratie“ ein. Die israe­lische Verfassungsrechtlerin Suzie Navot definiert: „Israel ist zuerst ein jüdischer, dann ein demokratischer Staat. Und das ist die richtige Reihenfolge.“ Die poli­tische Vorherrschaft des jüdischen Volkes ist fester Teil der israelischen Verfassungswirklichkeit. Gleichzeitig gelten in Israel gleiche individuelle Rechte für alle Bürger, ungeachtet der Ethnie und Religion. Die Rechte der arabischen Minderheit sind nicht auf dem Stand, den sie einfordert (beispielsweise wird das arabische Bildungssystem massiv gegenüber dem hebräischen benachteiligt).

    An anderer Stelle ist die Realität aber oft komplex. Die katastrophale Infrastruktur im annektierten Ostjerusalem hat mit offener Parteinahme der Lokalpolitik gegen die dortige arabische Bevölkerung zu tun, aber ebenso viel mit dem ungelösten Status der Stadt: Bis heute ist unklar, welche Teile dauerhaft zu Israel gehören werden. Außerdem übt die arabische Bevölkerung Ostjerusalems das israelische Wahlrecht nur selten aus, was ihre Möglichkeiten der Einflussnahme begrenzt. Tatsächlich ist die elektorale Po­litik aber oft eine Schwäche des jüdischen Staates in Bezug auf seine Minderheiten gewesen: Ultrarechte Regierungen wie die unter Menachem Begin in den Achtzigern, und die 2023 gebildete Koalition Netanjahus mit dem extremistischen Rand haben oft konkrete Verschlechterungen der politischen Lage nichtjüdischer Menschen in Israel und den besetzten Gebieten bedeutet.

    Trotzdem sind aus der unsicheren Frühzeit Israels stammende Benachtei­ligungen der arabischen Minderheit mit der Zeit größtenteils verschwunden. Nach der Staatsgründung stand die arabische Bevölkerung Israels unter Militärverwaltung und genoss Pressefreiheit und Wahlrecht nur eingeschränkt. Seit dem Ende der Militärverwaltung 1968 existiert Gleichberechtigung, und die Toleranz der israelischen Demokratie ge­genüber antizionistischen arabischen Par­teien ist beachtlich.

    Irgendwie widerspricht der ganze Teil dem ersten und der letzten Satz.

    Rassismus und Diskriminierung existieren in vielen Staaten. Der Be­griff der „Apartheid“ könnte auch auf die Lage von Gastarbeitern in manchen Golfstaaten oder der Palästinenser im Libanon angewendet werden. Das geschieht aber fast nie. Israel ist quasi der einzige Staat, dem „Apartheid“ vorgeworfen wird.

    "Keine Gleichheit im Unrecht"

    Der Vorwurf zielt zudem fast immer auf die Brandmarkung Israels als eines „siedlerkolonialen Fremdkörpers“. Die Milieus der „Palästina-Solidarität“ um die BDS-Bewegung schlagen unisono den Bogen vom Apartheidvorwurf zum Ruf nach dem Verschwinden des Staates Israel „from the River to the Sea“. Dass damit ein säkulares Palästina „für alle“ gemeint sei, wird dann entlarvt, wenn das gleiche Milieu die Gräueltaten der Hamas rechtfertigt oder bejubelt. Den Worten derjenigen, die Israel als Apartheidstaat delegitimieren, folgen also auch Taten. Solange das so ist, wird und muss die Offenheit für Kompromisse in Israel gering sein.

    Dass ethnonationalistischen Kräften in Israel letztendlich auch ein from the River to the Sea vorschwebt, in dem Nichtjuden bestenfalls geduldet sind, und damit die Besatzung und zivilen Opfer in Palästina genauso gerechtfertigt werden, ist für den Autor aber irgendwie kein Anstoß zur Kritik.

    Den Unterschied macht die Ideologie. Der interessantere Vergleich zwischen dem Israel/Palästina-Konflikt und der Geschichte Südafrikas ist daher der zwischen dem African National Congress (ANC) und der Hamas. Erstere und ihre Verbündeten begingen in den dreißig Jahren der Illegalität zwischen 1960 und 1990 eine Reihe von Anschlägen gegen die weiße Herrenschicht. Die Gesamtzahl der Todesopfer wird auf unter 200 geschätzt. Die meisten Anschläge richteten sich gegen Sachziele. Gewalt gegen Menschen wurde in den Statuten des ANC nie legitimiert. Weiße Südafrika­nerinnen und Südafrikaner blieben als Mitglieder willkommen. Nelson Mandela wurde so zu einer globalen Ikone des gewaltlosen Widerstands.

    Der Hass sitzt tief

    Die damit unvergleichliche Ideologie der Hamas ist dagegen derzeit in ihrem ganzen Schrecken sichtbar. Es ist nachvollziehbar, dass Generationen von in Armut und mit minimalen politischen Rechten aufgewachsenen Palästinensern anfällig für Radikalisierung sind. Das führt aber nicht zwangsläufig zu bestialischen Verbrechen. Der ANC trug durch Treue zu einem humanistischen Weltbild die Zivilisation durch den Kampf gegen ein unzivilisiertes System. Dagegen werden die niedersten Instinkte (Mordlust, Menschenverachtung, Dämonisierung) in der islamistischen Ideologie der Hamas nicht eingehegt, sondern noch potenziert.

    Der historische Kontext des ANC in einem dekolonisierenden Afrika ist halt ein völlig anderer.

    Die Ideologie des bedingungslosen Kampfes gegen „die Juden“ hat ihre Wurzeln zwar schon um 1920, wurde aber im modernen Islamismus besonders tief in die palästinensische politische Identität eingeschrieben. Die säkulare PLO, die sich zwischen 1973 und den Verhandlungen mit Israel von 1991 an der Idee von Koexistenz angenähert hatte, verlor ihre Macht auch wegen der religiös-extremistischen Welle in der arabischen Welt ab den Achtzigerjahren. Die jüngsten Ereignisse zeigen klar, dass kein jüdischer Israeli vor dem Todeskult des Dschihadismus sicher ist.

    Das stimmt wohl. Man darf sich fragen, warum das auf so fruchtbaren Boden fiel.

    Ganz grundsätzlich: Die semantische Debatte, ob das jetzt technically Apartheid ist oder nicht, geht doch am Kern des Problems vorbei. Der Autor führt deutlich aus, dass Araber und Juden in Israel keinesfalls gleich sind, auch wenn sie das auf dem Papier vielleicht sein mögen, und das auch Grundlage jedes Israels der Zukunft sein soll - das Angebot an die Palästinenser ist also bestenfalls Bürger zweiter Klasse zu sein. Mich überzeugt das nicht.

    • Achso... JETZT ist das eine quasi eine nebensächliche semantische Debatte ob in Israel Apartheid herrscht oder nicht." Das ist mal überhaupt keine sinnlose Semantik. Denn gerade das Milieau, das diesen Begriff für Israel ins Spiel gebracht hat, ist sonst ja extrem auf Semantik bedacht. Und das Wort zielt nur darauf ab, Israel als jüdischen Staat zu delegitimieren.

      "Araber und Juden sind in Israel keinesfalls gleich". Das stimmt aber wenn das der entscheidende Punkt für dich ist, dann stehen wir in Deutschland auch kurz vor der Apartheid, denn in vielerlei Hinsicht sind "biodeutsche" und migrantische Milieaus überhaupt nicht gleich, auch nicht vor dem Recht.

      Ich kann leider diese "ja aber..." statements zu Israel nicht mehr hören. Es gibt sehr gute Gründe dafür dass es für diese eine religiöse Gruppe, die überall auf der Welt eine krasse Minderheit ist und in vielen (u.a. arabischen) Staaten schon komplett vertrieben oder ausradiert wurde, einen ethno-religiösen Staat gibt. Und dass der jüdische Charakter dieses Staates entscheidend ist für die Funktion die er für das Judentum erfüllt.

      Der gegenseitige Hass und all das Leid von Zivilist*innen ist schrecklich und unfassbar traurig. Und das Ziel muss (in Jahrhunderten vielleicht?) eine Aussöhnung sein. Aber trotzdem gibt es zu Israel als jüdischem Staat kein "ja aber".

      Nach wie vor ist das auch die einzige Demokratie im nahen Osten und wirtschaftlich erfolgreich, im Gegensatz zu den ganzen Kleptokratien in der Region. Ich finde es doch immer wieder erstaunlich dass man meint, gerade diesem Staat Nachhilfe in punkto Freiheitsrechte etc. geben zu müssen, aber all die Nachbarländer (in denen es btw. keinen einzigen Menschen jüdischen Glaubens mehr gibt, warum nur?) interessieren einen scheiß. Was ist denn mit Freiheit und Minderheitenschutz in Jordanien, im Iran, in Ägypten, in Syrien?

      In der Relation ist deine Kritik an Israel völlig deplatziert. Und doch ist diese Doppelmoral bei sehr vielen fast schon ein Reflex und ich frage mich schon, was der Grund dafür ist...

    • Irgendwie widerspricht der ganze Teil dem ersten und der letzten Satz.

      Die Aussage, dass arabische Menschen in Israel durchaus strukturell diskriminiert werden, aber prinzipiell alle Rechte genießen, widerspricht der Aussage, dass es sich bei Israel nicht um einen Apartheidsstaat handelt? Aha. Interessante Interpretation.

    • Die Vertreibung der Juden ist eine existenzielle Bedrohung, die Vertreibung der Palästinenser erfolgt weil sie ein “Störfaktor für den jüdischen Charakter des Landes” sind. Ja Moin.

      Ja, da ist ein ziemlich großer Unterschied zwischen "Die Palästinenser nerven" und "Alle Juden in der Region müssen abgeschlachtet werden". MoinMoin?

      Wer glaubt, dass Oslo II tatsächlich die Grundlage für eine schrittweise Unabhängigkeit, die den Namen auch verdient, war, hat doch den Verstand verloren.

      Wer glaubt, dass es ein besserer Plan auf dem Tisch lag, hat Halluzinationen.

      “Keine Gleichheit im Unrecht”

      ??? Die Situation der Araber in Israel ist nicht so megageil. Aber der Vergleichshorizont, der mit dem Begriff "Apartheid" hergestellt werden soll, ist ja "Südafrika".

      Der historische Kontext des ANC in einem dekolonisierenden Afrika ist halt ein völlig anderer.

      Erstens: Wieso? Es wird doch ständig der "dekoloniale Befreiungskampf" der Palästinenser legitimiert. Zweitens: Wieso soll es einem anderen Kontext okay sein, auf niederste Instinkte zurück zu fallen?

      Das stimmt wohl. Man darf sich fragen, warum das auf so fruchtbaren Boden fiel.

      Auch das ist hinreichend geklärt. Der Antisemitismus in der Region ist eng verbandelt mit der Propaganda der 30er Jahre und dem religiösen Antisemitismus der Muslimbruderschaft.

      • Ja, da ist ein ziemlich großer Unterschied zwischen “Die Palästinenser nerven” und “Alle Juden in der Region müssen abgeschlachtet werden”. MoinMoin?

        Absolut. Das Framing im Artikel relativiert die Vertreibung der Palästinenser und den radikalzionistischen Anspruch der ethnonationalen Juden aber völlig, darum geht's mir hier.

        Wer glaubt, dass es ein besserer Plan auf dem Tisch lag, hat Halluzinationen.

        Korrekt, weil beide Seite weit überlappende rote Linien haben.

        “Keine Gleichheit im Unrecht”

        ??? Die Situation der Araber in Israel ist nicht so megageil. Aber der Vergleichshorizont, der mit dem Begriff “Apartheid” hergestellt werden soll, ist ja “Südafrika”.

        Da geht's mir darum, dass "aber anderen Staaten könnte man auch den Apartheidsvorwurf machen, tut man aber nicht" kein valides Argument dafür ist, dass man Israel den Vorwurf nicht machen sollte.

        Erstens: Wieso? Es wird doch ständig der “dekoloniale Befreiungskampf” der Palästinenser legitimiert.

        Damals hatten reihenweise Staaten ihre Unabhängigkeit erklärt, Südafrika wurde außenpolitisch immer isolierter* und so weiter. Der ANC hatte die Zeit auf seiner Seite, dass hat die PLO nicht.

        *Apartheidssüdafrika und Israel waren allerdings gute Freunde und haben unter anderem bei der Entwicklung von Nuklearwaffen kooperiert.

        Zweitens: Wieso soll es einem anderen Kontext okay sein, auf niederste Instinkte zurück zu fallen?

        Den Palästinensern bieten sich doch vier grundsätzliche Optionen:

        1. Die ewige Beibehaltung der Besatzung.
        2. Eine Zweistaatenlösung, die weitesgehend der Besatzung entspricht.
        3. Eine Einstaatenlösung, in der sie bestenfalls seperate but equal sind.
        4. "From the River to the Sea."

        Es geht nicht darum, ob es "okay" ist, auf Option 4 zurückzufallen. Genauso wie Jugendkriminalität sich aus Perspektivlosigkeit entwickelt, wirtschaftliche Unsicherheit rechten Parteien in die Hände spielt und auch aus guten Gründen freigesetztes CO2 das Klima verändert: Egal wie oft man es verurteilt oder rechtfertigt, der Effekt bleibt. Man kann die Folgen der Besatzung nicht wegmoralisieren.

  • Der Anschlag der Hamas ist absolut zu verurteilen, aber lies auch mal, was Human Rights Watch vor ein paar Tagen geschrieben hat: https://www.hrw.org/news/2023/10/13/nowhere-go-gaza

    Kurzzusammenfassung von einer KI, falls dir der Text zu lang ist:

    Im gegebenen Text hat das israelische Militär eine Evakuierungsanordnung für mehr als eine Million Menschen im nördlichen Gazastreifen herausgegeben, was der Hälfte der Bevölkerung des Gazastreifens entspricht. Diese Anordnung erfolgte mitten in schweren Luftangriffen, die zu einer erheblichen Todesopferzahl führten, darunter zahlreiche Kinder. Die Angriffe wurden nach einem Angriff von von Hamas geführten Kämpfern innerhalb Israels initiiert, bei dem israelische Zivilisten getötet und als Geiseln genommen wurden. Trotz dieser von den Kämpfern begangenen Kriegsverbrechen wird die Evakuierungsanordnung des israelischen Militärs dafür kritisiert, dass sie eine massive erzwungene Vertreibung riskiert und gefährdete Menschen in ihrer medizinischen Versorgung behindert.

    Die Evakuierungsanordnung wurde vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz als unvereinbar mit dem Völkerrecht kritisiert, und die Vereinten Nationen haben vor verheerenden Konsequenzen gewarnt. Darüber hinaus hebt der Text den historischen Kontext der Flüchtlinge im Gazastreifen hervor, denen das Recht verweigert wurde, in ihre Heimat zurückzukehren, was zu anhaltenden Konflikten und zur Angst und Traumatisierung der Bewohner in der Region beiträgt.

    Es ist nicht alles schwarz oder weiss... Für eine Seite Partei zu ergreifen und die andere zu verdammen ist in diesem Konflikt einfach nicht möglich. Es leidet nur die Zivilbevölkerung. Die Machthaber auf beiden Seiten sind meiner Meinung nach menschenlebenverachtende machtgeile Verbrecher.

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